Liebe Consorores, liebe Confratres,
liebe Schwestern und Brüder im Herrn,
Der Jubiläumsablass im Heiligen Jahr
Jedes Heilige Jahr versteht sich als Einladung zur persönlichen Umkehr. Um zur Umkehr zu ermutigen, hat der Heilige Vater auch in diesem Heiligen Jahr den Jubiläumsablass verkündet. In unserem Bistum habe ich als Ortsbischof drei besondere Hoffnungsorte benannt, an denen dieser Ablass erlangt werden kann: nämlich hier in der Kloster- und Wallfahrtskirche auf dem Kreuzberg, im Franziskanerkloster in Würzburg sowie in der Kapuzinerkirche in Aschaffenburg.
Doch was heißt das: den Jubiläumsablass gewinnen? Und ist das Thema Ablass nicht ein für allemal diskreditiert, nachdem Martin Luther gegen den Ablasshandel wirkmächtig zu Feld gezogen ist? Was versteht die Kirche unter „Ablass“, so dass sie auch heute noch den Gläubigen diesen Ablass als Hilfe zur geistlichen Erneuerung in Aussicht stellt? Diesen Fragen möchte ich im Folgenden nachgehen.
Die verfehlte Ablasspraxis
Martin Luther wandte sich zurecht gegen die spätmittelalterliche Ablasspraxis. Dem Sünder wurde von der Kirche in Aussicht gestellt, sich um seines persönlichen Heiles willen schnell und unkompliziert durch die Zahlung einer bestimmten Summe von der Sündenstrafe freizukaufen. „Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Feuer springt“ – so hieß der Merkspruch, der sich mit der damaligen Ablasspraxis verbunden hat. Der florierende Ablasshandel wurde weithin zum Ärgernis, weil der Eindruck entstand, dass sich die Kirche an der Seelennot der Einzelnen maßlos bereicherte und somit deren Notlage schamlos ausnutzte. Gegen diese Praxis regte sich verständlicherweise Widerstand.
Der Ablass ist kein Handel
Deshalb bleibt festzuhalten: der Ablass ist kein Handel. Niemand kauft oder verkauft das Heil, schon gar nicht die Kirche. Im Gegenteil. Christus hat uns freigekauft von der Macht der Sünde. „Er hat den Schuldschein, der gegen uns sprach, durchgestrichen und seine Forderungen, die uns anklagten, aufgehoben. Er hat ihn dadurch getilgt, dass er ihn an das Kreuz geheftet hat“ (Kol 2,14), wie es so eindrücklich im Kolosserbrief heißt. Genau daran erinnern wir uns heute am Fest Kreuzerhöhung auf dem Kreuzberg. Christus hat keine neuen Schuldscheine ausgestellt, die wir bezahlen müssten. Er hat die Schuld der Welt vollends auf sich genommen und in neues Leben gewandelt. Das ist der wunderbare Tausch („admirabile commercium“), von dem die Liturgie kündet.
Der Ablass ersetzt nicht die persönliche Beichte
Dieses Heil können wir nicht erwerben, schon gar nicht kaufen. Dieses Heil muss uns zugesprochen werden. Wir können es uns nicht selbst sagen. Deshalb bedarf es der sakramentalen Beichte, in der uns der Zuspruch der Vergebung gewährt wird. Voraussetzung dafür sind die Gewissenserforschung, die Reue, die Umkehr mit dem Vorsatz, sich zu bessern, und das Bekenntnis der eigenen Schuld. Denn nur was ausgesprochen wird, kann auch geheilt werden.
Die persönliche Umkehr und die Beichte sind zentraler Bestandteil des Ablasses, der uns in diesem Heiligen Jahr gespendet wird.
Gegen die Vereinzelung des Sünders
In der Praxis des Ablasshandels war nur der Sünder in seiner Vereinzelung im Blick, der sich selbst freikauft. Aber wir leben als Menschen nie vereinzelt, sondern immer in Gemeinschaft und sind auf die Gemeinschaft der anderen angewiesen. Als Gläubige wissen wir um die Kraft der Gemeinschaft der Kirche. Wir wissen auch um die Notwendigkeit, von der Gemeinschaft der Kirche getragen zu werden. Denn jede Sünde hat eine soziale Dimension. Sie wirkt sich aus auf das Zusammenleben aller in der Kirche. Völlig zurecht beginnt daher das Schuldbekenntnis mit den Worten:
„Ich bekenne, Gott, dem Allmächtigen, und allen Brüdern und Schwestern …“.
Denn meine Schuld betrifft immer alle, auch wenn das nicht immer sichtbar wird.
Der Ablass zielt auf die Tilgung der Folgen der Sünden
Hier setzt der Ablass an. Denn beim Ablass geht es nicht um die Sündenvergebung. Diese wird uns in der Beichte zugesprochen. Beim Ablass geht es um die Tilgung der Folgen unserer Sünde. Denn mit der Vergebung allein ist es nicht getan. Der Vergebung muss die Wiedergutmachung folgen. Wir müssen alles daransetzen, den Schaden, den wir angerichtet haben, irgendwie wieder gut zu machen.
Dabei wissen wir, dass den Bemühungen um Wiedergutmachung Grenzen gesetzt sind. Wir können nicht alles wieder in Ordnung bringen, was wir durcheinandergebracht haben. Wir können nicht alle Verletzungen heilen, die wir anderen zugefügt haben. Wir können nicht alles ungeschehen machen, was wir anderen angetan haben.
Gerade deshalb will uns das Geschenk des Ablasses ermutigen, mit Entschiedenheit einen Weg der geistlichen Erneuerung zu gehen. Denn für die Tilgung der Folgen unserer Schuld vertrauen wir in diesem heiligen Jahr auf das stellvertretende Gebet der ganzen Kirche.
Es geht also um das Zusammenspiel unserer Bemühungen um echte Umkehr mit dem Zuspruch der Gnade dieses Heiligen Jahres. Beides gehört zusammen. Denn der Ablass will die Buße nicht ersetzen, sondern fördern.
Neben der sakramentalen Beichte braucht es zur Gewinnung des Ablasses drei Elemente: Erstens ein sichtbares Zeichen des Neubeginns. Zweitens den Besuch der Heiligen Messe. Und drittens das Gebet in der Meinung des Heiligen Vaters.
Ein sichtbares Zeichen des Neubeginns setzen
Unser Weg der Läuterung braucht ein sichtbares Zeichen des Neubeginns. Das kann eine Wallfahrt sein, wie hier und heute die Wallfahrt zum Kreuzberg oder zu einem anderen unserer drei Gnadenorte im Bistum. Das kann und soll sein in diesem Heiligen Jahr das Durchschreiten eine der vier Heiligen Pforten in Rom (Petersdom / Santa Maria Maggiore / San Giovanni in Laterano / St. Paul vor den Mauern).
Weil Christus die Tür zum neuen Leben ist, eröffnet er uns im Durchschreiten der Heiligen Pforte einen neuen Lebensraum.
Indem wir solch ein sichtbares Zeichen der Umkehr setzen in der Gemeinschaft der Kirche, dürfen wir hoffen, dass die Folgen unserer Sünden abgemildert werden und wir in diesem Heiligen Jahr Fortschritte auf dem Weg geistlicher Erneuerung machen.
Die Feier der heiligen Messe besuchen
Neben den Zeichen des geistlichen Neuaufbruchs gehört zum Ablass der Besuch der Heiligen Messe. Denn in der Feier der Eucharistie kommt auf einzigartige Weise der Gemeinschaftscharakter unseres Heils zum Ausdruck. Wir feiern das Geheimnis unserer Erlösung in der Verbindung mit der ganzen Kirche. Das heißt in Verbindung mit allen Lebenden und mit all denen, die uns im Glauben ins ewige Leben vorausgegangen sind. Vor allem aber vertrauen wir auf das fürbittende Gebet Mariens und der schon vollendeten Heiligen. Im Gebet füreinander erhoffen wir, der Vergebung teilhaftig zu werden, die Christus uns erworben hat. Aus dieser Vergebung erwächst uns die Kraft, den alten Menschen hinter uns zu lassen und mit Christus zum neuen Menschen aufzuerstehen.
In der Meinung des Heiligen Vaters beten
Neben der sakramentalen Beichte, neben den sichtbaren Zeichen des Neuaufbruchs und dem Besuch der Eucharistie gehört auch das Gebet in der Meinung des Heiligen Vaters zu den Elementen des Ablasses. So wird deutlich, dass wir im Gebet nicht nur um uns selbst und um unsere eigenen Anliegen kreisen. Mit dem Nachfolger Petri als dem Haupt der Kirche beten für alle Glieder des Leibes Christi. Mehr noch: Weil die Kirche als Sakrament des Heils gesandt ist, die ganze Welt und alle Menschen zu retten, gilt unser Gebet mit dem Heiligen Vater der Erlösung der ganzen Welt.
In diesem September lädt der Heilige Vater ein, für unsere Beziehung zur ganzen Schöpfung zu beten. Er sagt:
„Beten wir, dass wir, inspiriert vom heiligen Franziskus, unsere gegenseitige Abhängigkeit von allen Geschöpfen erfahren, die von Gott geliebt sind und Liebe und Respekt verdienen.“
Machen wir uns dieses Gebetsanliegen zu eigen. Denn aus der Erfahrung der Abhängigkeit von allen anderen Geschöpfen erwächst der Respekt voreinander und ein ehrfürchtiger und liebevoller Umgang miteinander.
Nutzen wir dieses Heilige Jahr als Jahr der Gnade
Ich komme zum Schluss. „So wahr ich lebe - Spruch GOTTES, des Herrn -, ich habe kein Gefallen am Tod des Schuldigen, sondern daran, dass ein Schuldiger sich abkehrt von seinem Weg und am Leben bleibt. Kehrt um, kehrt euch ab von euren bösen Wegen! Warum denn wollt ihr sterben, ihr vom Haus Israel?“ (Ez 33,11).
So lautet der flehentliche Umkehrruf Gottes an sein Volk, wie ihn uns der Prophet Ezechiel übermittelt hat.
Nutzen wir dieses Heilige Jahr als Einladung zur Umkehr, weil Gott nicht den Tod des Sünders will, sondern sein Leben. Nutzen wir die Zusage des Ablasses, die uns ermutigt, auszuschreiten auf dem Weg der persönlichen Bekehrung.
Denn siehe: „Jetzt ist sie da, die Zeit der Gnade, jetzt sind sie da, die Tage der Rettung“ (2Kor 6,2). Vertrauen wir auf die Zusage des Herrn vom Kreuz her:
„Wenn ich über die Erde erhöht bin, werde ich alle an mich ziehen“ (Joh 12,32).
Ja, zieh uns an dich, Herr Jesus. Zieh uns zu dir. Denn dann überwinden wir alle Hindernisse, die uns noch trennen von dir und voneinander.
Zieh uns an dich, denn dann werden wir gerettet. Amen.