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Dokumentation

„Wir sind nicht für uns selbst da“

Predigt von Bischof Dr. Franz Jung am Sonntag, 7. Juli 2024, beim Pontifikalgottesdienst im Würzburger Kiliansdom zur Eröffnung der Kiliani-Wallfahrtswoche

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn,

Wir haben seinen Stern aufgehen sehen!

„Wir haben seinen Stern aufgehen sehen!“ – dieses Wort haben wir als Jahresmotto für 2024 gewählt. Es ist der Geschichte der Heiligen Drei Könige entnommen. „Wo ist der neugeborene König der Juden?“, fragen sie bei ihrer Ankunft in Jerusalem. „Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, ihm zu huldigen.“

„Wir haben seinen Stern aufgehen sehen!“ Welch eine Ermutigung spricht aus diesem Wort! Denn es ist keine Feststellung im Blick auf ein Ereignis vor mehr als 2000 Jahren. Ganz im Gegenteil. Dieses Wort steht über allen Zeiten und leuchtet bis in unsere Tage. Bis heute sehen wir seinen Stern aufgehen!

Der Stern der Kirche im Sinken begriffen?

Das Aufgehen des Sterns so zu betonen ist mir wichtig. Denn oft haben wir den Eindruck, dass der Stern der Kirche im Sinken begriffen ist. Desinteresse an Religion und Glaube, Skandale und Versagen inmitten der Kirche, Mangel an Fachkräften und Finanzmitteln, Wegbrechen volkskirchlicher Strukturen, und, und, und. Ja, es scheint, dass der Stern der Kirche in unseren Breiten zumindest unweigerlich im Sinken ist.

Der aufgehende Stern führt uns über uns hinaus

Dagegen steht das feste Bekenntnis der drei Sterndeuter: Wir haben seinen Stern aufgehen sehen. Eine geradezu provokante Feststellung. Wir brauchen diese Provokation, um nicht in Fatalismus und Resignation zu versinken. Der aufgehende Stern will uns über uns hinausführen. Und das unter drei Gesichtspunkten.

Persönliche Erneuerung des Glaubens an den Herrn

Der aufgehende Stern will uns über uns hinausführen. Mich selbst und jeden von uns lädt der aufgehende Stern ein, den eigenen Glauben zu erneuern. Lebendiger Glaube braucht Wachstum. Und Wachstum im Glauben verlangt nach einer Erneuerung der Beziehung zu Christus. Der aufgehende Stern Christi zeigt sich in Menschen, die innerlich neu aufbrechen, um Christus besser kennen zu lernen. So haben es die drei Könige getan und so wird es uns von unseren Frankenaposteln überliefert.

Unser diesjähriges Lectio-Divina-Projekt möchte genau dazu einladen. Bei der Betrachtung der Heiligen Schrift geht es darum, dem Herrn neu zu begegnen. Sein Wort soll uns zum Lebenswort werden, aus dem wir unseren Alltag gestalten, ein Lebenswort, das uns geistlich nährt und erneuert. Immer da, wo Menschen sich um eine Vertiefung ihrer Christus-Beziehung mühen, geht sein Stern neu auf und beginnt zu leuchten.

Nicht verharren beim Bewahren des Status quo

Der aufgehende Stern möchte uns über uns hinausführen. Das gilt auch für die Organisation Kirche. In Zeiten der Krise dreht sich oftmals alles darum, den Bestand zu bewahren. Aber Bestandswahrung allein wird nicht helfen.

Mit dem aufgehenden Stern über uns hinauszuwachsen bedeutet dann, Altes aufzugeben, wenn es keine Frucht mehr trägt. Es verlangt danach, nicht nur andere Dinge zu tun als bisher, sondern auch die vertrauten Dinge anders zu tun. Unser Projekt der Sozialraumorientierung lädt dazu ein. Es will den Blick schärfen für die Orte, Menschen und Nöte, an denen unsere kirchliche Präsenz und unser Einsatz gefragt sind, und zwar jenseits unserer pfarrlichen Grenzen und unserer internen Abläufe und Logiken, in denen wir oftmals gefangen sind.

Anstatt sich nur um den Erhalt des Bisherigen zu sorgen, erinnert uns der aufgehende Stern an unsere Sendung als Kirche. Wir sind nicht für uns selbst da, sondern sollen Werkzeug des Heils werden für die Welt. Wenn die bisherigen Werkzeuge nicht mehr helfen, braucht es neue Mittel und Wege, das Evangelium in die Welt hineinzutragen.

Die Klärung der Strategischen Ziele hilft uns hoffentlich, hier klarer zu sehen und auch zu echten Priorisierungen zu kommen. Der aufgehende Stern mahnt uns jedenfalls, nicht nur um uns selbst zu kreisen, sondern unsere Mission neu zu entdecken. Angespornt durch den Stern, sind die drei Könige und auch unsere drei Frankenapostel aus ihrer angestammten und vertrauten Heimat aufgebrochen, um neu den Glauben zu verkünden.

Aus den Fehlern der Vergangenheit lernen und sich erneuern

Der aufgehende Stern möchte uns über uns hinausführen. Das gilt auch im Blick auf die Fehler der Vergangenheit. Der aufgehende Stern wird in seiner ganzen Strahlkraft sichtbar in der Dunkelheit. Die Krisen der vergangenen Jahre haben uns erkennen lassen, dass wir keineswegs so gut sind, wie wir uns eingebildet hatten.

Vertrauen beruht auf Transparenz. Macht braucht Kontrolle. Gute Entscheidungen bedürfen der Mitspracherechte, um die Akzeptanz zu erhöhen und viele miteinzubeziehen und die vorhandenen Kompetenzen abzurufen. Versagen braucht echte Umkehr. Verbrechen bedürfen der Aufklärung und Wiedergutmachung und des entschiedenen Willens, Vorkehrungen zu treffen, dass sich solches nicht wiederholt.

Im Rückblick ist uns in der Tat ein Licht aufgegangen, ist uns das Licht Christi neu aufgegangen. Das war kein leichter Weg, schon gar kein freiwilliger, sondern ein Weg mit großen Schmerzen. Nicht zuletzt ging er einher mit vielen Enttäuschungen über uns selbst, aber auch mit vielen Enttäuschungen bei den Menschen, die uns rückhaltlos vertraut hatten.

Aber auch das Licht dieses Sterns „leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst“ (Joh 1,5). Die drei Könige wie unsere drei Frankenapostel haben es nicht gescheut, die Mächtigen ihrer Zeit auf ihre Fehler und Versäumnisse hinzuweisen und sie zur Umkehr zu rufen. Auch uns werden sie zu Mahnern, uns neu an dem Licht Christi zu orientieren. So hilft uns der aufgehende Stern, über uns hinauszuwachsen und neue geistliche Strahlkraft zu entwickeln in Heiligkeit und Gerechtigkeit. Wir sollen nicht der Scheffel sein, der das Licht verdunkelt.

Vielmehr sollen wir der Leuchter sein, der das Licht des aufgehenden Sterns weithin sichtbar zur Geltung bringt (Mt 6,15).

Das Beste liegt noch vor uns

„Wir haben seinen Stern aufgehen sehen.“ Ja, der Stern Christi geht noch immer auf. Im Blick auf den aufgehenden Stern traue ich mich zu sagen: Das Beste liegt nicht hinter uns, sondern das Beste liegt noch vor uns.

Lassen wir uns nicht von denen entmutigen, die behaupten, dass der Stern der Kirche im Sinken begriffen ist. Schauen wir lieber auf den wahren Morgenstern Jesus Christus (Offb 22,16). Wo immer wir uns an diesem aufgehenden Stern orientieren, da werden wir den Herrn finden, da macht er unsere Finsternis hell (Ps 18.29).

So haben es die drei Könige erfahren und so haben es unsere drei Frankenapostel erlebt. Mögen sie uns segnen auf unserer weiteren Pilgerreise als Kirche von Würzburg. Amen.