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Dokumentation

Zwischen Himmelreich und irdischer Realität

Predigt von Bischof Dr. Franz Jung beim Requiem für den Ehrendomherrn Prälat Dieter Hömer am Donnerstag, 19. Januar 2023, im Würzburger Kiliansdom

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn,

„Du wirst sehen, es ist alles halb so schlimm wie du glaubst, aber schlimmer als du denkst.“

Als Dieter Hömer im Jahre 1956 seine Kaplansstelle in Meiningen antrat und mit seinem Mitkaplan zur Volkspolizei ging, um sich vorzustellen, habe dieser ihm das oben genannte Wort mit auf den Weg gegeben. Es hallte noch lange in ihm nach und wurde für ihn zum geflügelten Wort.

„Du wirst sehen, es ist alles halb so schlimm wie du glaubst, aber schlimmer als du denkst.“

„Es ist alles halb so schlimm wie du glaubst“ hieß dann, dass man sich im kommunistischen Osten als Kirche doch zu behaupten wusste trotz aller Überwachung, Einschränkung und Schikanen. Dass man lernte, auch unter erschwerten Bedingungen seinen dienstlichen Verpflichtungen nachzukommen, gerade als Seelsorger, der für die Menschen da sein will.

Der zweite Teil der Sentenz „es ist aber schlimmer als du denkst“ mahnte einen dagegen immer wieder daran, sich an die schlimmen Umstände nicht einfach zu gewöhnen. Weil es schlimmer ist, als man denkt, muss man sich trotz aller pastoralen Klugheit und Gewandtheit die ungerechten Umstände stets neu vor Augen führen, ohne sich damit abzufinden. Denn das würde bedeuten, ein Doppelleben zu führen.

Dieser Zwang zur Heuchelei zerstört Menschen, verhindert einen aufrichtigen Umgang miteinander und führt in ein Leben voller Lügen. Es gibt eben „kein richtiges Leben im Falschen“, wie Theodor Adorno – allerdings im Blick auf die Nazi-Diktatur – so treffend gesagt hatte.

„Du wirst sehen, es ist alles halb so schlimm wie du glaubst, aber schlimmer als du denkst.“

Nüchterner Pragmatismus gepaart mit dem Geist inneren Widerstandes gegen das Unannehmbare – das ist die Grundhaltung dessen, der in zwei Welten leben muss. In der rauen Wirklichkeit irdischer Realität auf der einen Seite, und im Himmelreich auf der anderen Seite. Gerade weil er Bürger zweier Welten ist, kennt er die Haltung kompromissbereiter Kompromisslosigkeit, wenn man so sagen kann.

Durch Zugeständnisse und Kompromisse versucht man sein Tagesgeschäft gut zu erledigen. Innerlich aber bleibt die Kompromisslosigkeit die Grundhaltung dessen, der die Treue im Glauben nie verrät und die eigene Sendung nicht aufgibt.

Dieter Hömer hat in dieser Haltung treu seinen priesterlichen Dienst versehen. Er ahnte, was es heißt, sich von seinem Bischof Julius Döpfner in den Osten, nach Meiningen schicken zu lassen. Aber er hat diesen Auftrag mit der ihm eigenen Sorgfalt erfüllt und mit seiner besonderen Auffassungsgabe, die die Menschen und seine Oberen bald an ihm entdeckten.

Die dauernde Spannung zwischen schlimmer und halb so schlimm verstand er immer wieder mit seinem Humor aufzulösen. Gestalt gewonnen hat dieser Humor in seiner Comicfigur namens „Felix“. Sie war zu seinem Markenzeichen geworden. Auf Briefbögen und Randnotizen verstand Felix, der Glückliche, dem Schweren und Unangenehmen immer wieder die komischen Seiten des Lebens abzugewinnen. Allerdings sieht die nur der, der aus der Haltung des Glaubens heraus auf Distanz gehen kann und sich so seine innere Freiheit bewahrt.

Dieter Hömer alias Felix erwies sich als tatkräftiger und fleißiger Priester. Knapp zehn Jahre, von 1956 bis 1965, versah er seinen Seelsorgedienst in Meiningen als Kaplan und später dann als Kuratus und Pfarrer im Meininger-Land. Dabei machte er aus seiner Würzburger Herkunft nie einen Hehl. Als Kind von Stift Haug sah er seine Aufgabe darin, die Menschen und Priester seiner fränkischen Heimat im Glauben zu stärken und zu begleiten.

Doch schon bald winkten neue Aufgaben. Die Berliner Ordinarienkonferenz war auf den begabten Seelsorger aufmerksam geworden. Sie übertrug ihm 1965 zunächst die Aufgabe des Subregens am Erfurter Priesterseminar, um ihn dann fünf Jahre später zum Regens desselben zu ernennen. So konnte er mehrere Generationen von Priestern an dieser einzigen Priesterausbildungsstätte der DDR prägen. Sie erinnerten sich gerne an ihren Subregens oder Regens aus fränkischen Landen. Für ihn selbst waren es seinem Zeugnis nach die erfreulichsten seiner Priesterjahre.

Doch auch dabei sollte es nicht bleiben. 1973 bildete der Vatikan aus den Thüringischen Gebieten der Bistümer Fulda und Würzburg das Bischöfliche Amt Erfurt-Meiningen. Apostolischer Administrator wurde der Erfurter Generalvikar Hugo Aufderbeck. Für die Meininger Gebiete stand ihm zunächst Weihbischof Karl Ebert zur Seite. Nach dessen überraschendem Tod im Jahre 1974 wurde Dieter Hömer 1975 mit dem Amt des Bischofsvikars für das Vikariat Meiningen betraut und zugleich zum Ordinariatsrat ernannt.

Dieter Hömer versah seinen Dienst als Bischofsvikar des Vikariates Meiningen bis zum Zusammenbruch der DDR im Jahre 1990. Auch wenn Joachim Meisner Erfurter Weihbischof war, wurden Dieter Hömer in seinem Sprengel gewissermaßen weihbischöfliche Aufgaben übertragen. Er spendete das Firmsakrament und zeichnete verantwortlich für die Leitung des Vikariates Meiningen.

Dabei sah er seine Verantwortung darin, sein ihm anvertrautes Vikariat immer enger an das Bischöfliche Amt Erfurt-Meiningen heranzuführen, um so die Integration der früheren Würzburger Bistumsteile in das später neu zu schaffende Bistum Erfurt vorzubereiten. Das ist sicher eines seiner bleibenden Verdienste in seinem so abwechslungsreichen wie verantwortungsvollen priesterlichen Leben.

Papst Paul VI. würdigte Hömers Wirken 1975 mit der Ernennung zum Päpstlichen Ehrenprälaten. Im Jahre 1990 kehrte Hömer in sein Heimatbistum Würzburg zurück und wurde zum Ehrendomherrn an der Würzburger Kathedralkirche ernannt.

Dieter Hömer ist ein bescheidener Mensch geblieben und ein treuer Diener seines Herrn. Wie Johannes der Täufer im heutigen Evangelium hat er sich nie etwas genommen, was ihm nicht von oben gegeben worden wäre. Er verstand sich als Mann des Übergangs. Nicht nur in seiner Verkündigung hielt er den Platz des Herrn frei und verteidigte ihn gegen alle totalitäre Vereinnahmung.

Ebenso wenig maßte er sich an, bischöfliche Würden zu verlangen, auch wenn er das Amt quasi ohne Weihe innegehabt hatte. Nach dem Ende der DDR kehrte er als einfacher Seelsorger zurück ins Glied, wenn man so sagen darf, und wirkte segensreich in der Dompfarrei. Er bewies damit eine innere Größe, die nur wenige aufbringen.

Wie der Freund des Bräutigams im Evangelium freute er sich, dass die Zeit des Übergangs vorbei war und er seinen Beitrag zu einem Neuanfang hatte leisten können. Den Christen in der Diaspora blieb er weiterhin verbunden. Sichtbarer Ausdruck dieser Verbundenheit war der Vorsitz des Bonifatiuswerkes der deutschen Katholiken im Bistum Würzburg, den er von 1999 bis 2004 innehatte.

„Er muss wachsen, ich aber geringer werden“, hatte Johannes gesagt. Sein Leben lang strebte Dieter Hömer danach, Christus groß zu machen. Angesichts dieser Aufgabe konnte er persönlich zurücktreten. Das „Ich muss geringer werden“ verspürte er allerdings auch deutlich im Nachlassen seiner körperlichen und geistigen Kräfte.

Beim Älterwerden kam freilich das frühere Leitwort noch einmal zum Tragen:

„Du wirst sehen, es ist alles halb so schlimm wie du glaubst, aber schlimmer als du denkst.“

Ja, am Ende war es „halb so schlimm wie man glaubt“ auch deshalb, weil er im Thekla-Heim in Würzburg seit 2011 eine liebevolle Pflege genoss und Menschen fand, die ihn gut begleiteten. Daher gilt dem Leiter des Caritas-Seniorenzentrums Sankt Thekla, Herrn Johannes Amrhein, und seinem Team heute von Herzen mein aufrichtiger Dank für die Pflege Dieter Hömers, aber auch für die gute Betreuung unserer Ruhestandspriester, die dort in wohltuender Atmosphäre ihren Lebensabend verbringen dürfen.

„Aber es ist schlimmer als man denkt“, gerade wenn man nach einem so arbeitsreichen Leben merkt, dass man nicht mehr so kann, wie man gerne wollte. Kurz vor Weihnachten habe ich ihn in Sankt Thekla noch einmal besucht. Wie ein kleines Kind saß er fromm in seinem Bett. Aber der Blick war schon in die Ferne gerichtet, so dass er seine direkte Umgebung nicht mehr wahrnahm. Er schien schon viel mehr bei dem zu sein, auf den hin er sich sein Leben lang ausgerichtet hatte.

Am 10. Januar hat er nun endlich die Stimme des Bräutigams vernommen, der ihn zu sich nach Hause gerufen hat. Hoffen und beten wir heute für ihn, dass sich für ihn - wie einst für Johannes den Täufer ­ die Freude erfüllt hat. Möge er nun teilhaben am Hochzeitsmahl des ewigen Lebens, das er als Priester zahllose Male in der Eucharistiefeier vorweggenommen und vorgekostet hat.

Danke, Prälat Dieter Hömer.