Hinweis

Ihre Browserversion wird leider nicht mehr unterstüzt. Dies kann dazu führen, dass Webseiten nicht mehr fehlerfrei dargestellt werden und stellt ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar. Wir empfehlen Ihnen, Ihren Browser zu aktualisieren oder einen der folgenden Browser zu verwenden:

Dokumentation

Lectio Divina – Hinführung zur Geistlichen Schriftlesung

Hirtenwort zur österlichen Bußzeit 2024 von Bischof Dr. Franz Jung

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn!

Einladung, die Lectio Divina neu zu entdecken

Papst Franziskus hat das Heilige Jahr 2025 unter das Wort gestellt „Pilger der Hoffnung“. In unserem Bistum wollen wir schon in diesem Jahr beginnen, uns auf dieses geistliche Ereignis vorzubereiten. Ein wichtiges Element der Vorbereitung ist die Einladung, sich neu mit dem Wort Gottes auseinanderzusetzen. Denn jede Erneuerung der Kirche erwächst aus dem Hören auf das Wort Gottes. In dieser österlichen Bußzeit ist es mir ein besonderes Anliegen, unter den vielen Möglichkeiten, mit Gottes Wort umzugehen, auf die Form der sogenannten Lectio Divina hinzuweisen. Das Lateinische „Lectio Divina“ heißt wörtlich übersetzt „Lesung, die von Gott kommt“. Zum besseren Verständnis dessen, was damit gemeint ist, bevorzuge ich den Begriff der „Geistlichen Schriftlesung“.

Betend lesen und lesend beten

Die kürzeste Zusammenfassung dessen, was die Geistliche Schriftlesung will, lautet: betend lesen und lesend beten. Die Einbettung des Lesens der Heiligen Schrift in das Gebet zielt auf die persönliche Aneignung des Wortes Gottes. Mit der Form der Lectio Divina reihen wir uns ein in eine sehr alte Tradition. Sie wird bis heute vor allem in unseren Ordensgemeinschaften praktiziert, aber sie ist keineswegs darauf beschränkt. Ich möchte vielmehr ausdrücklich alle in dieser österlichen Bußzeit ermutigen, sich auf diese Weise neu mit dem Wort Gottes auseinanderzusetzen, für sich persönlich, in unseren Familien, in den Sitzungen der Pastoralteams, zu Beginn der Zusammenkünfte in unseren Gremien und Verbänden.

Das Gebet um den Heiligen Geist

„Betend lesen und lesend beten“ bedeutet, dass jede Geistliche Schriftlesung mit dem Gebet beginnt. Vor der Auseinandersetzung mit dem Wort Gottes betet man um den Heiligen Geist. Denn im Heiligen Geist wurde die Heilige Schrift verfasst. Derselbe Geist ist es, der sowohl die Tiefen des Wortes Gottes als auch die Tiefen des menschlichen Herzens auslotet (1Kor 2,10). Der Geist Gottes erschließt uns Gottes Wort als „Worte ewigen Lebens“ (Joh 6,68). Durch das Gebet um den Geist wird bewusst der Rahmen gesetzt und eine Atmosphäre der geisterfüllten Aufmerksamkeit geschaffen.

Nach dem Gebet um den Heiligen Geist folgen klassischerweise vier Schritte. Sie lauten Lectio, Meditatio, Oratio und Contemplatio. Diese vier Schritte will ich nun im Einzelnen betrachten.

Die Lectio oder das Lesen: Was sagt Gott heute?

Verständlicherweise beginnt die Beschäftigung mit dem Wort Gottes mit dem Lesen, also mit der Lectio. Das kann lautes Vorlesen sein oder leises Lesen. Beim Lesen geht es darum, genau hinzuhören, was Gott heute sagt in seinem Wort. Zum besseren Verständnis dessen, was man liest, liegt es nahe, sich im Vorfeld über das biblische Buch kundig zu machen, aus dem man eine bestimmte Schriftstelle zu lesen gedenkt. Die Stelle selbst sollte aber kurz sein und in der Regel nicht mehr als ungefähr zehn Verse umfassen. Man geht nie fehl, wenn man sich bei der Auswahl der Schriftstelle an die Leseordnung der Kirche hält. Durch die Konzentration auf die Tageslesung oder das Tagesevangelium weiß man sich in der Geistlichen Schriftlesung mit der Gebetsgemeinschaft der ganzen Kirche verbunden.

Das Lesen der Heiligen Schrift dient nicht so sehr der In-formation, sondern der Trans-formation. Ich lese das Wort Gottes nicht wie eine Zeitung oder eine wissenschaftliche Abhandlung, um mehr zu erfahren. Vielmehr will ich durch die Lektüre in einen Dialog mit Gott eintreten. Die Lesung soll zum Gespräch führen, das mich über mich hinausführt und mich verwandelt. Dazu muss ich aber zuerst genau hinhören, was Gott heute sagt. Beim gemeinschaftlichen Vollzug kann man sich nach dem Lesen darüber austauschen, was einem heute aufgefallen ist oder was man heute zum ersten Mal hört.

Die Meditatio oder die Meditation: Was sagt Gott heute mir?

Nach dem Lesen folgt die Meditatio, oder die Meditation. Dieser zweite Schritt dient der Erwägung dessen, was ich gelesen habe. Was sagt Gott heute mir? Was spricht mich an in dem Text? Wo werde ich hellhörig? Was berührt mich und warum nehme ich das heute wahr? Das Meditieren in Stille haben die alten Theologen verglichen mit dem Wiederkäuen der Tiere. Als geistliche Nahrungsaufnahme will ein Wort immer wieder neu „durchgekaut“ werden. Man soll es nicht einfach herunterschlingen. Erst wenn man sich ausreichend Zeit genommen hat für das Erwägen eines Wortes, kann es seinen vollen Geschmack entfalten.

Die Oratio oder das Gebet: Was will ich heute Gott sagen?

Auf die Meditatio folgt die Oratio, das heißt das Gebet. Im Gebet ergeht auf das Wort Gottes die Antwort des Menschen. Ich trete nun ein in einen Dialog mit dem lebendigen Gott. Was ich als Botschaft für mich gehört habe, wird im Gebet zur Formulierung meiner Not, meiner Angst, meiner Sehnsucht und meiner Bitte. Aber genauso ist es möglich, dem Herrn im Gebet zu danken für seinen Zuspruch, seine Wegweisung, seinen Trost und seine Ermutigung. Denn die Fülle des Wortes Gottes bleibt unerschöpflich. In jeder Lebenssituation kann ich ihm andere Bedeutungen abgewinnen und diesen Schatz von neuem heben.

Die Contemplatio oder der geistliche Nachklang:

Was nehme ich mit in den Tempel meines Herzens („Con-Temp-Latio“)?

Das Gebet mündet in den letzten der vier Schritte, in die sogenannte Contemplatio. Das lateinische „Contemplatio“ bedeutet wörtlich übersetzt „Betrachtung“. In diesem Zusammenhang könnte man es am ehesten wiedergeben mit „geistlicher Nachklang“. Was ich gelesen habe, was mir bedeutsam geworden ist, und worum ich Gott gebeten habe, das soll in meinem Herzen nachklingen dürfen. Erfahrungsgemäß wird es nur Weniges sein, ein Vers oder ein Gedanke, der mich weiter begleiten soll. Im Sinne des heiligen Ignatius geht es um das „Verkosten von innen“ all dessen, was mich erbaut und was mein Herz weit macht. Auf diese Weise kann ich mir ein Wort zu eigen machen als Wort, das „meinem Fuß eine Leuchte“ ist und „ein Licht für meine Pfade“ (Ps 119,105).

Bei der gemeinschaftlichen Schriftlesung kann man noch einmal am Ende miteinander teilen, was einem kostbar geworden ist und was man als Schatz für sich mitnehmen möchte.

Die Betrachtung und das Verkosten münden abschließend wiederum in ein Gebet, mit dem ich die Zeit der Geistlichen Schriftlesung bewusst als Gebetszeit abschließe.

Hinweise für einen fruchtbaren Vollzug der Lectio Divina

Zum Schluss möchte ich noch einige Hinweise für eine fruchtbare Geistliche Schriftlesung geben.

Ein Erstes: Die Lectio Divina braucht Zeit. Das bringt die Abfolge der einzelnen Schritte mit sich. Am besten reserviert man sich dafür immer dieselbe Zeit. Im persönlichen Vollzug eine Zeit, in der man möglichst ungestört sein kann. Im gemeinschaftlichen Vollzug eignet sich entweder der Beginn einer Zusammenkunft oder deren bewusste Unterbrechung in der Mitte für eine gemeinsame Betrachtung der Heiligen Schrift. Eine halbe Stunde mag dabei zunächst genügen.

Ein Zweites: Die Lectio Divina braucht Stille, gerade für den Schritt der Meditation und des Gebets. Im gemeinschaftlichen Vollzug ist es wichtig, zur Stille anzuleiten. So weiß jeder, was jetzt ansteht, und kann das Schweigen auch gut aushalten.

Ein Drittes: Die Lectio Divina braucht Absichtslosigkeit. Das Schöne an der Geistlichen Schriftlesung ist ihre Zweckfreiheit. Ich muss nichts lernen. Ich muss auch nichts erreichen. Ich soll das Wort Gottes auch nicht verzwecken. Ich muss mich nur bereiten für die Begegnung mit dem lebendigen Wort Gottes. Die innere Freiheit eröffnet einen Raum, in dem echte Begegnung im Geist mit Gottes Wort möglich wird.

Ein Viertes: Die Lectio Divina braucht eine gewisse Regelmäßigkeit. Die Wiederholung hilft, sich an die Abfolge der Schritte zu gewöhnen. Auf diese Weise lernt man, sich in die Heilige Schrift hineinzumeditieren. Wer die Geistliche Schriftlesung mit einer gewissen Regelmäßigkeit praktiziert, wird merken, wie sie uns langsam von innen her verwandelt. Als Verwandelte können auch wir die Welt verwandeln und ausschreiten auf unserem Weg als „Pilger der Hoffnung“.

Hilfestellungen von Seiten des Bistums

Um zur Lectio Divina anzuleiten, hat unsere Arbeitsgemeinschaft Bibelpastoral zusammen mit dem Katholischen Bibelwerk dankenswerterweise ein Materialheft vorbereitet. Es erscheint in dieser Fastenzeit in gedruckter sowie in digitaler Form. Darin finden Sie eine Auswahl von acht Bibelstellen zum Thema Hoffnung, jeweils mit Anleitung zur Geistlichen Schriftlesung. Zur Einübung werden wir außerdem monatlich eine Lectio Divina im Onlineformat anbieten, so dass Interessierte sich auf diesem Weg mit der Geistlichen Schriftlesung vertraut machen können.

Liebe Schwestern und Brüder,

der Prophet Jesaja hat verheißen, dass das Wort Gottes nicht leer zum Herrn zurückkehrt, sondern das erreicht, wozu es ausgesandt worden ist (Jes 55,11). Diesem Anliegen dient die Geistliche Schriftlesung. Sie möchte uns darin unterstützen, dass Gottes Wort nicht leer bleibt, sondern als guter Same Frucht trägt dreißigfach, sechzigfach und hundertfach (Mk 4,8). Bitten wir bei diesem Bemühen die Gottesmutter um ihre Fürsprache. Sie ist es, die im Neuen Bund als erste das Wort Gottes gehört hat. Sie hat das Wort als persönlichen Anruf aufgefasst. Und sie ist es auch, die mit Gott in einen Dialog eingetreten ist. So hat in ihr das Wort in unübertroffener Weise Fleisch angenommen. Möge sie uns helfend zur Seite stehen, damit auch wir Gottes Wort als Lebenswort begreifen lernen, das uns verwandelt und in Christus erneuert.

Dazu erbitte ich Ihnen allen meinen bischöflichen Segen und wünsche uns frohe und geistliche Tage der Vorbereitung auf Ostern!

Ihr

+ Franz Jung

Bischof von Würzburg