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Dokumentation

„Jesus lebt, und wir mit ihm“

Predigt von Bischof Dr. Franz Jung in der Osternacht am Samstag, 30. März 2024, im Würzburger Kiliansdom

Osternacht und der Schöpfungsbericht

Jahr für Jahr bin ich fasziniert von der ersten Lesung der Osternacht, dem Schöpfungsbericht. Die Botschaft der Liturgie ist klar: Ostern ist nicht nur irgendein Fest im Jahresverlauf. Nein, Ostern hat mit allem zu tun. Wer Ostern verstehen möchte, muss zum Anfang von allem zurückgehen. Und der Anfang von allem wird überliefert in der Geschichte von der Erschaffung der Welt. Der Schöpfungsbericht versteht sich aber nicht nur als Erklärung dessen, was im Anfang geschah. Aus ihm lernen wir auch, worauf es ankommt, wenn Leben möglich sein soll. Der Schöpfungsbericht wird damit ein Leitfaden zur Lebensweisheit.

Schöpfung heißt Ordnung schaffen

Ein erster Gedanke: Schöpfung entsteht durch Ordnung. Stück für Stück, Tag für Tag formt Gott aus dem Chaos den Kosmos. Eine geordnete Welt entsteht, die Leben ermöglicht. Die Ordnung vollzieht sich durch Trennung. Gott scheidet Licht von der Finsternis, scheidet das Wasser oberhalb vom Wasser unterhalb des Gewölbes, scheidet das Meer vom Festland, die Lichter des Tages von den Lichtern der Nacht, Mann von Frau. Schöpfung erscheint so als feste Ordnung, als Lebensordnung.

Was im Anfang geschah, bleibt ein Lebensauftrag für uns alle. Der heilige Ignatius pflegte zu sagen, ein geistliches Leben zu führen bedeutet, sein Leben zu ordnen. Keine einfache Aufgabe. Denn uns geht es genauso wie am Anfang der Schöpfung. Das Chaos, oder auf Hebräisch das „Tohuwabohu“, bedroht jede Ordnung.

Das Chaos im Großen, im Blick auf die gegenwärtige Weltunordnung, wie das Chaos im Kleinen unseres Privatlebens. Es bedroht unser Leben immer dann, wenn alles durcheinandergerät: Wenn wir nicht mehr klarsehen, wenn Leid und Tod uns verwirren, wenn wir das Böse tun anstelle des Guten, wenn uns die rechten Maßstäbe abhandenkommen.

Da braucht es wie am Anfang der Schöpfung den Heiligen Geist, der uns hilft, die Dinge neu zu ordnen. Heute Nacht feiern wir, dass in der Auferstehung Christi der gute Geist gesiegt hat über die Geister des Chaos. Dass das Leben den Sieg über den Tod davongetragen hat. In Christus ist die Welt neu geordnet. Deshalb müssen wir uns an ihm ausrichten, um mit ihm die neue Schöpfung heraufzuführen.

Unsere heutige Taufbewerberin, Frau Myhres, kann eine Geschichte davon erzählen, was es bedeutet, belastet von chaotischen Anfängen und wirren Familienverhältnissen, einen Weg der inneren Ordnung und der Ausrichtung auf Christus zu suchen.

Dass ihr das gelungen ist, freut uns alle sehr, denn jeder weiß, welch geistige und geistliche Anstrengung das kostet. Wie schön ist es, vom Heiligen Geist so geführt zu werden, dass am Ende alles wieder einen Sinn ergibt und Trost.

Im Wasser der Taufe wird sie heute Nacht mit Christus den alten Menschen abwaschen, um in neuer Klarheit und Entschiedenheit ihren Weg als Christin gehen zu können.

Schöpfung heißt in Spannungen leben

Ein zweiter Gedanke, der sich aus dem ersten ergibt: Schöpfung heißt, in Spannungen zu leben. Denn alles Lebendige entwickelt sich. Beredter Ausdruck dieser schöpferischen Spannungen ist das berühmte kleine Wörtchen UND. Licht UND Finsternis. Tag UND Nacht. Meer UND Land. Tiere in der Luft UND Tiere auf dem Land. Mann UND Frau, Arbeit UND Ruhe. Diese Spannungen helfen zu größerer Lebendigkeit. Und sie drängen über sich hinaus wie das Beispiel der Fruchtbarkeit zeigt, die aus dieser Spannung erwächst.

Wo keine Spannung mehr ist, da ist auch kein Leben mehr. Da fließt keine Energie, sondern da ist am Ende alles tot. Ostern aber kommt erst in den Spannungen unseres Lebens zur Geltung. Ohne Karfreitag kein Ostern. Ohne die Erfahrung von Scheitern und Tod keine echte Lebensfreude. Mit Christus sind wir eingeladen, aus dem Dunkel ins Licht zu gehen, vom Tod zum Leben, vom Hass zur Liebe. Und in beidem, in der Finsternis wie im Licht, ist Gott zu finden. Durch jede Mitfeier des Osterfestes haben Anteil an der Neuschöpfung dieser Erde, die Gott seit der Auferstehung Jesu gewirkt hat.

Das erfordert allerdings, dass wir uns nicht zur Ruhe zu setzen, sondern auf der Suche nach dem Mehr, nach Größerem bleiben. Frau Myhres hat es uns beispielhaft vorgelebt auf ihrer über 20-jährigen Suche nach einer geistigen Heimat.

Die Salbung mit dem heiligen Chrisam verleiht ihr die Kraft des Heiligen Geistes. Dieser Geist ist es, der die Spannungen unseres Lebens nicht zu Zerreißproben macht, sondern zu Orten, an denen uns neue Lebendigkeit erwächst.

Schöpfung heißt, die Dinge beim rechten Namen zu nennen

Ein dritter Gedanke: Schöpfung heißt, die Dinge beim rechten Namen zu nennen. Denn die Ordnung der Welt vollzieht sich in Sprache. Indem ich die Dinge benenne, beschreibe ich meine Welt, bewerte ich sie und setze mich zu ihr in Beziehung. Deshalb ist es nicht gleichgültig, wie man Dinge benennt.

Im Schöpfungsbericht heißt es so eindrucksvoll, Gott nannte das Licht Tag und die Finsternis nannte er Nacht. Das hat etwas Befreiendes. Die Dinge richtig zu benennen, gibt Sicherheit. Das ist keineswegs selbstverständlich. Wir Menschen sind nämlich Spezialisten darin, die Dinge nicht beim Namen zu nennen, sie schön zu reden, sie zu verklausulieren, sie zurecht zu lügen oder verharmlosend umzubenennen. Wie klagte schon der Prophet Jesaja (Jes 5,20):

„Wehe denen, die das Böse gut und das Gute böse nennen, die die Finsternis zum Licht und das Licht zur Finsternis machen, die das Bittere süß und das Süße bitter machen.“

Christus, der auf dem Weg zum neuen Leben den Tod durchschritten hat, kennt die Abgründe des Lebens und des menschlichen Herzens. Mit ihm ist es möglich, auch das Schwere und Leidvolle unumwunden anzusprechen und beim Namen zu nennen. Mit Christus muss man nichts umlügen oder zurechtbiegen. Er ist die Wahrheit, die uns freimacht. Er ist die Wahrheit, die standhält auch angesichts von Leid und Tod. Mit ihm ist es möglich, alles anzunehmen, ohne es beschönigen oder verdrängen zu müssen.

Frau Myhres hat auf ihrem Suchweg durch unterschiedliche Glaubensrichtungen und Weltanschauungen erfahren, wie befreiend es ist, auf Christus als die Wahrheit ihres Lebens zu blicken. Mit diesem Christus ist es ihr heute Nacht auch möglich, im Taufbekenntnis ihr Nein gegen das Böse und ihr Ja zum Gott des Lebens zu sagen.

Diese Wahrheit macht ihr und unser Leben hell wie das Licht der Osterkerze.

Schöpfung heißt Hinordnung auf den Schöpfer und Herrn des Lebens

Ein vierter Gedanke: Schöpfung heißt als Geschöpf auf den Schöpfer ausgerichtet zu sein, um bei ihm zur Ruhe zu kommen. Der siebte Tag der Schöpfung, der Sabbat, ist der Ruhetag. Er ist der Schöpfung von Anfang an eingestiftet wie der Schöpfungsbericht erzählt. Denn er gibt der Zeit ihren heiligen Wochen-Rhythmus.

Dieser siebte Tag versteht sich nicht einfach nur als Pause zum Durchschnaufen, um danach besser weiterarbeiten zu können. Er ist vielmehr gedacht als freie Zeit zur Muße. Der siebte Tag dient der Besinnung auf den Schöpfer. In ihm soll der Mensch seine Ruhe finden. Im Gottesdienst soll er den Sinn des Lebens wiederentdecken. Dieser Sinn besteht eben nicht im Arbeiten, sondern in der Danksagung für alles, was wir unverdient und aus Liebe geschenkt bekommen haben.

War im Alten Bund der Sabbat der letzte Tag der Woche, so hat sich das mit der Auferstehung Jesu für uns Christen geändert. Der Sieg des Lebens über den Tod am Tag nach dem Sabbat macht den Sonntag zum ersten Tag der Woche. Der Sonntag steht damit als Vorzeichen vor allem Tun von uns Menschen. Er ist reserviert für das gottesdienstliche Gedenken an die Erneuerung der Schöpfung in Christus.

In der Erinnerung an seine Auferstehung sollen wir unter der Woche unseren Aufgaben nachkommen. Als Neugeschaffene sind wir gefordert, der Neuschöpfung dieser Welt durch unser Tun sichtbaren Ausdruck zu verleihen und so mitzuhelfen, die Welt zu verändern.

Das weisse Taufkleid erinnert Frau Myhres daran, dass wir Christus angezogen haben. Es bewahrt uns davor, aufzugehen oder unterzugehen im Klein-Klein des Alltags. Es erinnert uns an unsere Würde. Es befähigt uns dazu, aus Dankbarkeit in Vorleistung zu treten, um Gottes neues Leben den Menschen nahe zu bringen.

Amen. Halleluja

Schönster Ausdruck der Dankbarkeit ist die Freude. Es ist die österliche Freude über den Neubeginn, den Christus uns durch seine Auferstehung schenkt. Bewahren wir uns diese Freude. Erhalten wir uns die Sehnsucht nach dem neuen Himmel und der neuen Erde. Und geben wir dieser Freude heute Nacht ihren schönsten Ausdruck im österlichen Lobgesang des Hallelujas. Denn Jesus lebt, und wir mit ihm. Amen. Halleluja.