In dulci jubilo, Nun singet und seid froh! Uns'res Herzens Wonne Liegt in praesepio,
Und leuchtet wie die Sonne Matris in gremio. Alpha es et O. Alpha es et O.
In dulci iubilo – mit süßem Gesang – nun singet und seid froh, so hebt eines der schönsten und ältesten Weihnachtslieder an. Mit süßem Gesang, mit einer süßen Melodie beginnen heute Nacht alle zu singen. Singt an gegen die Bitterkeit dieser Welt. Gegen all das, was uns die Sprache verschlägt und uns stumm zurücklässt. Singt an mit süßen Liedern gegen die Bilder von Krieg und Zerstörung, singt an gegen die Weltuntergangsszenarien und die grassierende Hoffnungslosigkeit. Singt an mit süßen Liedern gegen alle, die sagen, es gäbe nichts zu feiern und die Party wäre vorbei.
Nur süße Lieder helfen, den Geschmack am Leben wiederzugewinnen. Süße Lieder wohlgemerkt, nicht süßliche Lieder. Süße Lieder, weil sie uns vom Himmel her geschenkt werden. Nicht süßliche Lieder, die etwas kitschig verklären und mit Zuckerguss verbrämen wollen, was im Kern ungenießbar ist. Nein, süße Lieder, weil die Engel uns ihre Melodie geschenkt haben. Denn – so lautet die Begründung – unsres Herzens Wonne liegt in praesepio, ja der Grund unserer Freude liegt in der Krippe. Und leuchtet wie die Sonne, matris in gremio, nämlich im Schoß seiner Mutter.
Es ist kunstvoll und theologisch tief zugleich, wie lateinische und deutsche Verse einander abwechseln. Das markiert nicht nur den Übergang zwischen Latein als Liturgiesprache, das dann vom Deutschen abgelöst wird. Der Dichter beginnt vielmehr immer mit dem Latein, das dann durch die deutschen Verse ergänzt und präzisiert wird. Warum? Ganz einfach: um deutlich zu machen, dass das Heil uns von Gott her zukommt. Wir können immer nur nachsprechen und übersetzen, was uns zuerst von Gott zugesagt wird. Wie aus einer anderen Welt, wie aus der Welt Gottes klingt das Latein zu uns herüber und verdeutlicht, dass wir das Heil uns nicht selbst machen können. Es muss uns zugesagt, von Gott her geschenkt werden, wie dieses Kind in der Krippe.
Alpha es et O. Heißt es am Ende der ersten Strophe. In der Tat: Dieses Kind in der Krippe und im Schoß der Mutter ist das A und O, das Alpha und das Omega, der erste und letzte Buchstabe des griechischen Alphabets, der Anfang und das Ende. Das heißt: Ohne dieses Kind geht gar nichts. In ihm wurde alles erschaffen und auf ihn hin läuft alles zu. Es umspannt unser ganzes Leben. Denn in diesem Kind erneuert Gott seine Schöpfung. Ursprung und Ziel fallen in eins. Wer das Kind mit der Mutter umfängt, der findet zu Gott zurück. Das macht den Jubel so süß. Die alten Lieder haben ausgedient. Ein neues Lied legt uns Gott in den Mund.
Alpha es et O. Beim ersten Mal geht die Melodie nach oben. In der Wiederholung geht sie nach unten. Auch kein Zufall. Denn es klingt wie eine Frage, die dann durch die Wiederholung ihre endgültige Bestätigung erfährt. Ja, genau so ist es. A und O. Punkt. Und der Kundige erinnert sich daran, dass wir auch auf die Osterkerze genau das schreiben werden. Christus Alpha und Omega. Denn in ihm umfängt Gott unsere Zeit mit seiner Ewigkeit und sein Licht trotzt dem Dunkel des Todes. Wie trostreich!
O Jesu parvule, nach dir ist mir so weh. Tröst mir mein Gemüte, o puer optime, durch alle deine Güte, o princeps gloriae. Trahe me post te, trahe me post te.
Oh kleines Jesus-Kind. Nach dir sehne ich mich. Ich sehne mich, dich zu sehen. Ich sehne mich danach, Weihnachten zu erfahren. Bei aller Finsternis und aller Angst ist es diese Sehnsucht, die mich über mich hinausführt.
Tröst mir mein Gemüte, ja tröst mir mein Gemüt. Was ein ergreifender Wunsch. Das Gemüt soll getröstet werden. Das Gemüt als Inbegriff unseres Fühlens und unserer Seele, als Herzmitte des Menschen. Denn wer wollte abstreiten, dass die ganzen negativen Nachrichten dieses Jahres uns aufs Gemüt schlagen, ja dazu angetan sind, uns schwermütig zu machen?
Tröst mir das Gemüte, du puer optime, du guter Knecht Gottes. Mit aller deiner Güte, oh du princeps gloriae, du König der Herrlichkeit. Tröst mir mein Gemüt, weil ich in dir das Ja Gottes zu dieser Welt erkenne, wo andere behaupten, wir wären von allen guten Geistern verlassen. Tröst mir mein Gemüt, weil in dir die Liebe Gottes zu uns Menschen erschienen ist, auch wenn der Mensch seinem Mitmenschen zum ärgsten Feind wird und Gott allen Grund hätte, dreinzuschlagen. Tröst mir mein Gemüte mit deiner Liebe und Güte, die sich vom Bösen nicht besiegen lassen, sondern das Böse durch das Gute überwinden.
Wunderbar ist die Steigerung in dieser zweiten Strophe, die die wahre Identität des Kindes in der Krippe enthüllt. Was das Auge sieht, den Jesu parvule, das kleine Jesus-Kind, ist in Wirklichkeit der puer optime, der Knecht Gottes, der unsere Leiden auf sich genommen hat, und er ist zugleich der princeps gloriae, der König der Herrlichkeit, dessen Wiederkunft wir so sehr ersehnen, um diese Erde zu verwandeln und sein Reich heraufzuführen.
Deshalb auch die Bitte am Ende: Trahe me post te. Trahe me post te. Ein Zitat aus dem Hohenlied der Liebe. Die Seele des Menschen sehnt sich danach, zu dem schönsten aller Menschen, zu Christus, gezogen zu werden. Ja, Herr, zieh mich heute Nacht zu dir. Rühre mich an, zieh mich zu dir, auch wenn ich immer wieder spüre, wie Angst, Zweifel und Finsternis von meinem Herzen Besitz ergreifen wollen. Zieh mich zu dir und lass mich nicht untergehen in einem Strudel der Hoffnungslosigkeit.
O Patris caritas, o nati lenitas! Wir warn all verdorben per nostra crimina, da hat er uns erworben caelorum gaudia. Quanta gratia, quanta gratia.
O Liebe des Vaters und Milde des Sohnes, so hebt die dritte Strophe an. Zu Recht. Denn Gott kommt, um uns einen Neuanfang zu ermöglichen. In der dunkelsten Nacht des Jahres leuchtet sein Licht auf. In einer Welt voller Tod bietet er uns sein Leben an. Angesichts der Verzweiflung schenkt er uns Hoffnung. Wo Schuld uns belastet, schenkt er heute Nacht Vergebung. Er will eben nicht den Tod des Sünders, sondern dass er glaube an Gottes Vergebung und dadurch lebe, von neuem auflebe.
Quanta gratia. Welch eine Gnade! So stammelt der Dichter am Ende dieser dritten Strophe. Welch eine Gnade. Wo Menschen unbarmherzig sind, zeigt uns Gott sein Herz. Wo Menschen hochmütig sind, erweist sich Gott als demütig und kommt uns entgegen. Wo Menschen nichts mehr erwarten, eröffnet er uns einen neuen Horizont. Welch Gnade. Hoffentlich nehmen wir sie auch an. Hoffentlich können wir diesem zuvorkommenden Angebot Gottes auch Glauben schenken.
Ubi sunt gaudia? – Nirgends mehr denn da, wo die Engel singen – nova cantica – und die Zimbeln klingen in regis curia. Eja qualia, eja qualia
Ubi sunt gaudia? Wo sind die Freuden geblieben? Eine gute Frage. Wo sind die Freuden? Sie sind jedenfalls nicht in der Ablenkung durch billiges Vergnügen. Sie sind auch nicht im Wegschauen und in der Flucht in eine heile Welt. Sie sind auch nicht im weihnachtlichen Festessen, so sehr es dazugehört.
Die Freuden sind dort, wo die Engel singen, lautet die Antwort des Liedes. Die Freuden sind da, wo Menschen in die himmlische Melodie einstimmen. Die Freuden sind da, wo uns die Zusage der Engel zum Herzenswort wird: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seiner Gnade“. Viel wird davon abhängen, ob wir diese Melodie in unser Herz werden aufnehmen können. In sie dürfen wir einstimmen, wenn uns die Traurigkeit überkommt. Sie dürfen wir anstimmen, wenn uns der Sinnlosigkeitsverdacht übermannt.
Sie ist aber auch dann anzustimmen, wenn wir im Vertrauen auf Gott Neues anpacken. Wenn wir die Welt nicht verloren geben. Wenn wir in den armen und benachteiligten Schwestern und Brüdern den Herrn erkennen. Wenn wir an die Macht der Versöhnung glauben. Denn dann stehen wir bereits in der „regis curia“. Dann stehen wir schon mit den Engeln am Throne Gottes und feiern mit ihnen, dass der neue Himmel und die neue Erde jetzt schon Wirklichkeit sind.
Das wünsche ich Ihnen allen von ganzem Herzen. Frohe und gesegnete Weihnachten 2023!