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Dokumentation

Himmel und Erde miteinander versöhnt

Predigt von Bischof Dr. Franz Jung beim Pontifikalamt am ersten Weihnachtstag, 25. Dezember 2023, um 10 Uhr im Würzburger Kiliansdom

Die Friedensvision des Jesaja

Weihnachten ist das Fest des Friedens. Aber kann man Weihnachten feiern in einer Welt, in der momentan furchtbare Kriege toben in der Ukraine und in Gaza? Nur: War es jemals wirklich anders? Erst jetzt, wo die Kriege fast vor unserer Haustür geführt werden, wird uns wieder bewusst, dass wir in einer friedlosen Welt leben. In der Zeit des Propheten Jesaja war es nicht anders. Angesichts kriegerischer Auseinandersetzungen entwirft er unbeirrt seine Vision vom messianischen Frieden. Wir haben sie in der ersten Lesung (Jes 11,6-9) gehört.

Dann wohnt der Wolf beim Lamm,

der Panther liegt beim Böcklein.

Kalb und Löwe weiden zusammen,

ein kleiner Knabe kann sie hüten.

Kuh und Bärin freunden sich an,

ihre Jungen liegen beieinander.

Der Löwe frisst Stroh wie das Rind.

Der Säugling spielt vor dem Schlupfloch der Natter,

das Kind streckt seine Hand in die Höhle der Schlange.

Man tut nichts Böses mehr und begeht kein Verbrechen

auf meinem ganzen heiligen Berg;

denn das Land ist erfüllt von der Erkenntnis des Herrn,

so wie das Meer mit Wasser gefüllt ist.

Natürliche Feinde friedlich miteinander vereint?

Die Vision des Jesaja erscheint als fromme Utopie. Wie sollen denn jemals instinktgeleitete Tiere friedlich miteinander wohnen können? Wölfe reißen Lämmer, wie wir in der Rhön sehen. Die Böcklein gehören ins Beuteschema des Panthers. Und was passiert, wenn wir Kalb und Löwe unbeaufsichtigt lassen, können wir uns an drei Fingern abzählen. Gerade in der Natur, die „natürliche Feindschaft“ kennt, wie man so schön sagt, wissen die Tiere sehr genau, wer sich vor wem in Acht nehmen muss, um nicht auf dem Speiseplan des anderen zu landen. Die Rollen von Raubtier und Beutetier sind klar verteilt. „Fressen und gefressen werden“, heißt das ewige Gesetz.

Im Anfang war es nicht so

Und doch bleibt Jesaja bei seiner Vision. Sie lebt gerade vom Kontrafaktischen, indem sie scheinbar festgefügte Rollenbilder aufbricht. Sie erzählt davon, dass das, was uns als das Natürlichste erscheint, in Wirklichkeit unnatürlich, ja widernatürlich ist. Denn der Prophet ist fest davon überzeugt, dass es im Anfang, vor dem Sündenfall, nicht so war. Erst durch die Macht des Bösen ging ein Riss durch die Schöpfung. Die Sünde zerriss das Band, das den Schöpfer und die Geschöpfe miteinander verband. Der Verlust dieser Einheit brachte Rivalen und Todfeinde hervor. The „struggle for life and the survival of the fittest“ – der Kampf ums Leben und zugleich das Überleben des Stärkeren“ sind ab jetzt Gesetz. Jesaja aber glaubt daran, dass mit dem Erscheinen des Messias der heilige Anfang des friedlichen Miteinanders wieder eingeholt werden kann.

Weihnachten versöhnt Himmel und Erde miteinander

Diese Vision des Jesaja ist seit Weihnachten Wirklichkeit. Gott heilt an Weihnachten den Riss, der seit dem Sündenfall durch die Welt ging. In Christus reißt er die „trennende Wand der Feindschaft“ (Eph 2,14) nieder, die Gott und die Welt entzweite. In dem menschgewordenen Gottessohn versöhnt er die Welt mit sich. Er bietet allen Geschöpfen den universalen Frieden an, von dem die Engel an Weihnachten machtvoll künden: „Frieden auf Erden den Menschen seiner Gnade“ (Lk 2,14). Das Undenkbare wird Wirklichkeit: Die früheren Todfeinde leben ab jetzt friedvoll miteinander, ohne um ihr Leben zu bangen.

Am Paradies vorbeileben

Was uns von Gott als reale Möglichkeit angeboten wird, müssen wir Menschen allerdings glauben. Mehr noch, wir müssen Ernst damit machen in unserem Leben. Da gibt es noch viel Luft nach oben. Zu sehr denken wir in Kategorien der Konkurrenz und der Feindschaft. Noch immer beherrschen uns Neid und Eifersucht. Oft genug zeigen wir einander die Krallen und Zähne, um uns zu behaupten und andere wegzubeißen. Der Kampf um den eigenen Platz ist kein leeres Wort, sondern tägliche Realität. Und mancher, der nach außen hin wie ein Schaf auftritt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Wolf im Schafspelz.

Jesus in der Höhle des Löwen

Aber müssen wir im Grunde nicht auch so handeln? Der Blick auf das Geschick des Messias Jesus zeigt uns jedenfalls, dass er selbst unter die Räder kam. Am Ende wurde Jesus das Opfer von Intrigen, Verrat und üblen Machtspielchen.

So ist das nun mal, wenn man sich in die Höhle des Löwen wagt. Dann riskiert man, gefressen zu werden. So ist es auch Jesus ergangen. Wie ein unersättliches Monster verschlingt ihn die Unterwelt.

Aber behalten kann sie ihn nicht. Denn sie hat kein Anrecht auf den Gerechten. Gefressen werden von ihr nur die, die selbst über andere herfallen. Dieser Jesus aber ging wehrlos in die Höhle des Löwen. Deshalb triumphiert er in Gottes Macht über den Tod und das Böse. Er zerreißt den Rachen des Löwen. Die Unterwelt muss ihn herausgeben. So befreit er die Gerechten der Vorzeit, um sie ins Reich des Vaters zu geleiten.

In Christus eine neue Schöpfung

So wird in Christi Auferstehung vollendet, was an Weihnachten begann: die große Versöhnung von Himmel und Erde. Deshalb sagt Paulus: „Wenn jemand in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung“ (2Kor 5,17). Das Alte ist vergangen, Neues ist geworden. Die ganze Welt wartet auf das „Offenbarwerden der Kinder Gottes“ (Röm 8,21f). Wie das Jesuskind sollen auch die Kinder Gottes spielen am Schlupfloch der „alten Schlange“ (Offb 12,9), weil das göttliche Kind dem Bösen ein für allemal den Giftzahn gezogen hat.

Wie Schafe unter den Wölfen

Nicht umsonst sendet Jesus seine Jünger aus mit den Worten: „Seht, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe“ (Mt 10,16). Er sendet seine Jünger wehrlos mitten unter die Feinde, weil es für ihn seit Weihnachten keine Feinde mehr gibt.

Und wenn es Feinde gibt, dann höchstens,

• Weil wir einander zu Feinden machen, statt das Verbindende zu suchen.

• Weil wir unversöhnlich und nachtragend sind, statt einander zu vergeben.

• Weil wir alte Vorurteile und alte Feindbilder pflegen und andere so in diese Rollen geradezu hineindrängen, statt einander ohne Vorbehalt zu begegnen.

• Weil wir dem anderen Misstrauen entgegenbringen und dadurch überhaupt erst die Wege zueinander verbauen und die Feindschaft heraufbeschwören, die sich ansonsten beilegen ließe.

Wie Schafe sollt ihr sein mitten unter den Wölfen, weil an Weihnachten der Wolf beim Lamm liegt, dem „Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt“.

Klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben

„Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben“ (Mt 10,16), sagt der Herr. Denn auch Schlangen und Tauben sind längst keine natürlichen Feinde mehr.

Sondern kluge Arglosigkeit und arglose Klugheit sind die Kennzeichen der Kinder Gottes. Klug, weil sie um die Schlichen des Bösen wissen und um die Konstellationen, in denen Menschen einander zu Feinden werden. Arglos, weil sie zu den „Menschen seiner Gnade“ gehören, die sich nicht vom Bösen besiegen lassen, sondern das Böse konsequent durch das Gute besiegen (Röm 12,21).

Du sollst Ochs und Esel nicht gemeinsam vor den Pflug spannen

Ein Letztes: „Du sollst Ochs und Esel nicht gemeinsam vor den Pflug spannen“ (Dtn 22,10), hieß es im Alten Bund im Buch Deuteronomium. Im Neuen Bund ist es anders. Ochs und Esel stehen vereint und brav nebeneinander an der Krippe. Beide haben in der Krippe ihren gemeinsamen Herrn erkannt (Jes 1,3) und sind bereit, ihm zu dienen. Beide ziehen gemeinsam die Pflugscharen: der Ochse mit seiner unbändigen Kraft, der Esel mit seiner ihm eigenen Unbeirrbarkeit und Sturheit – Pflugscharen übrigens, die wir aus unseren Schwertern gemacht haben (Jes 2,4).

In diesem Sinn wünsche ich Ihnen von Herzen frohe und friedvolle Weihnachten 2023!