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Dokumentation

„Herr, gib mir immer dieses Öl!“

Predigt von Bischof Dr. Franz Jung in der Chrisam-Messe am Montag, 11. April 2022

Das Haus wurde vom Duft des Öls erfüllt

„Das Haus wurde vom Duft des Öls erfüllt.“ Ein eigentümlicher Zauber geht von diesem kleinen Satz aus. Denn auf eine gleichermaßen unaufdringliche wie faszinierende Weise beschreibt er die Auswirkungen einer guten Tat. Mit der Salbung der Füße Jesu durch Maria ist es nicht getan. Der Duft des Öls, der sich daraufhin in das ganze Haus verströmt, macht allen Anwesenden auf diskrete Weise bekannt, was sich eben Schönes ereignet hat. Der betörende Geruch weckt die Aufmerksamkeit, unterbricht den Alltag und erhebt die Herzen, so dass sich eine Welle des Behagens förmlich im Körper verbreitet.

Es wäre also zu wenig, nur auf das einzelne gute Werk zu schauen, das jemand vollbracht hat. Das Bild vom Öl, dessen Duft sich verströmt, kündet vom Mehrwert jeder Wohltat. Sie strahlt über sich hinaus und wendet die Situation aller zum Besseren. Eine ermutigende Botschaft, gerade wenn man in Gefahr ist, angesichts der begrenzten Möglichkeiten, die einem zu Gebote stehen, zu resignieren.

Das Wesen des Guten besteht im Sich-Verströmen

„Bonum est diffusivum sui“, sagten die Alten. „Es macht das Wesen des Guten aus, sich zu verströmen.“ Genau diese Einsicht kommt sinnenfällig zur Darstellung in der Szene von der Salbung Jesu mit dem kostbaren Nardenöl. Im Sich-Verströmen, im Sich-Verlieren zeigt sich das Wesen des Göttlichen. Es kommt ganz zu sich, indem es sich ganz gibt. Damit wird es zum Inbegriff einer unerschöpflichen Lebensfülle, die ohne Berechnung zu geben vermag. Von daher verwundert es nicht weiter, dass die Kirchenväter das solcherart duftende Haus mit der Kirche selbst identifizierten.

Die vielen Duftnoten im Haus des Herrn

Erfahrungsgemäß ist aber jeder Wohlgeruch leicht flüchtig. Kaum hat man ihn wahrgenommen, gewöhnt sich auch schon unser Geruchssinn an diesen Duft. So kommt es, dass wir ihn nicht mehr riechen, jenseits der Tatsache, dass er im wahrsten Sinne des Wortes alsbald „verduftet“. So kommt es, dass das Haus der Kirche neben dem flüchtigen Wohlgeruch leider auch noch viele andere Geruchsnoten kennt. Das erleben wir in diesen Tagen in mitunter bedrängender Weise.

Da gibt es den ätzenden Geruch der Kirchenkritik. Er tut förmlich weh und treibt viele derzeit aus dem Haus der Kirche heraus. Das Beißende des Geruchs rührt wohl daher, dass es lange Zeit gar nicht möglich war, Missstände offen anzusprechen und Kritik zu äußern. Was unterdrückt wird, gärt. Da braucht einen der ätzende Geruch nicht weiter zu verwundern.

Dann gibt es den Gestank der Sünde, bei dem der Geruchssinn Alarm schlägt. Er hält uns dazu an, schnellstmöglich auf Abstand zu gehen. Denn der üble Geruch signalisiert Lebensgefahr. Nichtsdestoweniger heißt das Gebot der Stunde, gerade deshalb genau hinzuschauen und alles zu unternehmen, die Quelle des Verwesungsgeruchs schnellstmöglich zu beseitigen. Missbrauch in allen seinen Variationen wirkt verstörend und abstoßend. Das Haus muss gründlich gelüftet werden, soll es jemals wieder bezugsfertig sein.

Überdies gibt es den strengen Geruch der Reinigungsmittel, mit denen das Haus gründlich gesäubert werden soll. Diskussionen um Machtverteilung, Teilhabegerechtigkeit, Transparenz und Strukturen sind sicher dringend notwendig und sie stehen jetzt an. Aber anziehend wie der Duft des Öls wirken sie nicht. Ob die Reformunterfangen am Ende dazu beitragen, das Haus wieder zu füllen wie in früheren Zeiten, steht noch dahin.

Dann gibt es natürlich noch den Mief der Rückwärtsgewandtheit. Der Traum von den Kirchenerfahrungen der 1980er und -90er Jahre. Noch immer werden sie als Maßstab angesehen für das, was Kirche und wie Kirche sein soll. Das vermittelt ein Gefühl des Verstaubt-Seins. Angesichts dessen hilft nur noch der befreiende Niesreflex weiter.

Aber hoffentlich gibt es auch noch den vertrauten Geruch unserer Kirchengebäude, den wir so sehr schätzen. Es handelt sich dabei um einen ganzen Strauß an Duftnoten. Er setzt sich zusammen aus der Ausdünstung des altehrwürdigen Gemäuers, dem Duft des Blumenschmucks, aus Weihrauch und Kerzenwachs. Ein Geruch, der als Stallgeruch ein Gefühl der Beheimatung schenkt. Er lädt dazu ein, zu bleiben und endlich zur Ruhe zu kommen. Jeder kennt wohl diesen Stallgeruch, der unmittelbar die Sinne ergreift und Vertrautheit signalisiert. Und wahrscheinlich war es dieser Stallgeruch, dem wir einst gefolgt sind auf unserem eigenen Berufungsweg. Zumindest hat er eine Fährte gelegt, der wir auf der Spur geblieben sind.

Das Rezept für den Duft des Öls

Doch kehren wir nach diesem Ausflug durch die kirchlichen Duftnoten unserer Tage zu unserem kleinen Satz zurück, dem nachzudenken ich Sie heute einlade, am Tag der Chrisammesse. „Das Haus wurde vom Duft des Öls erfüllt.“

Denn der Duft des Öls ist der wahrhaft göttliche Duft, der das Haus Gottes vor allen anderen Häusern dieser Welt auszeichnet. Durch ihn wird das Haus der Kirche zur geistlichen Heimat, zum Ort, an dem unsere Seele zur Ruhe kommt und mit dem Segen Gottes erfüllt wird.

Doch was sind die Bedingungen dafür, dass sich das Haus mit dem Wohlgeruch füllt? Drei Faktoren nennt Johannes im Evangelium.

Ein Pfund Öl und die Großzügigkeit im Zeichen des Chrisams

Erstens die Gewichtsangabe „ein Pfund“. Eine unvorstellbare Menge für einen erlesenen Duftstoff. Das Öl muss ein Vermögen gekostet haben. Wenn das Öl sich verströmen soll, darf man eben weder sparen noch knausern. Die Haltung der Großzügigkeit steht hinter der liebevollen Geste der Maria. Ihre Großzügigkeit versteht sich als Antwort auf Jesu Erweckung ihres Bruders Lazarus zum Leben. „Herr, er riecht schon!“ (Joh 11,39) hatten sie Jesus warnend zugerufen. Doch davon hat sich Jesus nicht abschrecken lassen. Dem Geruch des Todes setzt er den Ruf ins Leben entgegen. Das unterstreicht Maria mit dem Öl, das Jesus als den auszeichnet, der den Geist (Joh 3,34) und damit das Leben unbegrenzt gibt.

Unser priesterliches und diakonales und auch mein bischöfliches Handeln müssen von dieser Großzügigkeit geprägt sein. Nicht die kleinen Dosen helfen weiter. Wenn der Duft des Öls sich ausbreiten soll, müssen wir viel investieren. Das Vorbild Jesu, der gibt, ohne zu berechnen, bleibt uns dabei Vorbild und Verpflichtung.

Der heilige Chrisam steht für diese Großzügigkeit und Großherzigkeit. Jeder, der mit dem Chrisam gesalbt wird, erhält Anteil an der Würde des Messias. Was er aus seiner Fülle empfängt (Joh 1,16), darf er weitergeben in gutem, vollem, gehäuftem, ja überfließendem Maß (Lk 6,38).

Der Vorschlag des Judas hingegen, das Öl zu Geld zu machen, um es dann den Armen zu geben, klingt vor diesem Hintergrund geradezu schäbig. Es geht eben nicht um das, was mit Geld zu kaufen ist. Es geht um das Unbezahlbare. Es geht um den Ausdruck der ungeschuldeten Liebe Gottes. Sie zu bezeugen ist die Aufgabe, die uns geweihten Amtsträgern aufgetragen ist.

Echtes Öl und die Authentizität im Zeichen des Krankenöls

Zweitens der ausdrückliche Hinweis, es habe sich um „echtes“ Öl gehandelt, wie der Evangelist vermerkt. Es ist nichts Zusammengerührtes oder Gepanschtes. Nein, echtes Öl und damit wertvoll in seiner Konsistenz. Es steht für größtmögliche Reinheit. Sie zeigt sich in der herrlichen goldgelben Farbe und dem sanften Fließen der Flüssigkeit. Allein diese Trägersubstanz garantiert langanhaltende Wirksamkeit.

Für uns als Bischöfe, Priester und Diakone heißt das: Echtheit strahlt aus. Was aufgesetzt oder gespielt ist, vermag die Herzen nicht zu erreichen. Anziehend wirkt nur das, was von Herzen kommt und was gedeckt ist durch unser gelebtes Beispiel. Authentizität ist gefragt im bischöflichen, priesterlichen und diakonalen Wirken. Nur wer selbst von dem erfüllt ist, was er anderen weitergeben will, wird erleben, dass etwas von ihm ausgeht. Alles andere vermittelt höchstens einen schwachen Hauch dessen, was möglich wäre.

Zur Authentizität gehört es, gut mit den eigenen Fehlern und Schwächen umzugehen. Das Krankenöl erinnert uns an unsere Bedürftigkeit. Gerade in der menschlichen Schwachheit erweist es seine Kraft. Denn dank der Salbung mit diesem Öl wächst uns die Gelassenheit zu, bewusst anzunehmen, was noch nicht ausgereift ist und was weiterer Vervollkommnung bedarf. So können wir an unseren Fehlern und mit ihnen wachsen. Auf diese Weise helfen sie uns auch, anderen barmherzig zu begegnen und ihnen von der Fülle des Erbarmens zu künden, das der Herr uns selbst erwiesen hat.

Kostbares Nardenöl und die Vollkommenheit im Zeichen des Katechumenenöls

Drittens das „kostbare Nardenöl“. Es handelt sich um das Spitzenprodukt unter den ätherischen Ölen. Höchste Qualität steht für höchste Ansprüche. Die Veredelung mit Narde verbürgt den Wohlgeruch, der die Sinne der Menschen erreicht und dazu führt, dass Menschen sich öffnen.

Für die geweihten Amtsträger verbindet sich mit der Narde das Streben nach Vollkommenheit. Jede falsche Routine, die zu Oberflächlichkeit und Nachlässigkeit führt, ist zu meiden. Umgekehrt gilt es, den Anspruch nicht aufzugeben, die aufgetragenen Aufgaben gut und mit geistlicher Tiefe zu erfüllen. Denn der Tiefgang ist es, der den Wohlgeruch verströmt. Und dieser Tiefgang rührt aus der lebendigen Beziehung zu Christus. „Wir sind der Wohlgeruch Christi“ (2Kor 3,15), ermutigt uns der Apostel Paulus im Zweiten Korintherbrief. Gegen den Todesgeruch der Nachlässigkeit und der Resignation setzen wir den Wohlgeruch der Begeisterung und des Engagements.

Das Katechumenenöl symbolisiert für mich dieses Streben nach Vollkommenheit. Es ermutigt dazu, immer neu mit den Fragenden nach Antworten aus dem Glauben zu suchen. Es bewahrt uns davor, uns mit dem Angelernten zufrieden zu geben. Es lädt uns dazu ein, dem unendlichen Gott auf der Spur zu bleiben, der uns auffordert, ins Weite und in die Tiefe hinauszufahren (Lk 5,4).

Herr, gib mir immer dieses Öl!

Das „Pfund“ der Großherzigkeit, das „echte“ Öl der Authentizität und die „Narde“ der Vollkommenheit – alle drei Ingredienzen gehören zusammen. Sie bilden die Voraussetzung dafür, dass das kostbare Nardenöl seinen Wohlgeruch im Hause des Herrn entfaltet. Nur in dieser Mischung wird unser Dienst vor dem Herrn wohlgefällig sein. Schließlich verweisen die drei Bestandteile auf den eigentlichen Spender des heiligen Öls, auf Jesus Christus selbst, den Gesalbten des Herrn, in dem unsere Sendung gründet und an dem wir Maß zu nehmen haben.

Wir wissen, wie sehr wir immer wieder Mangel leiden an diesem Öl. Wir erfahren oft genug, wie schwer es uns fällt, die einzelnen Zutaten in Reinform zu erhalten. Wir leiden darunter, dass dieser Schatz, den wir in zerbrechlichen Gefäßen (2Kor 4,7) mit uns tragen, immer wieder droht, seinen Wohlgeruch einzubüßen. Deshalb müssen wir täglich neu um dieses Öl bitten.

In Anlehnung an die Bitte der Samariterin am Jakobsbrunnen beten wir:

Herr, gib mir immer dieses Öl (vgl. Joh 4,15)!

Gib mir immer dieses Öl, damit ich dir „in Heiligkeit und Gerechtigkeit“ dienen kann alle Tage meines Lebens (Lk 1,75).

Ja, Herr, mische Du mir jetzt in dieser Stunde wieder aufs Neue dein heiliges Öl. Denn nur so wird durch mich dein ganzes Haus mit dem Duft des Öls erfüllt. Amen.