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Dokumentation

​​​​​​​Gottes bedingungsloses Ja

Predigt von Bischof Dr. Franz Jung in der Christmette am Freitag, 24. Dezember 2021, im Würzburger Kiliansdom

Von Kurt Marti stammt folgendes Gedicht mit dem Titel „Geburt“:

geburt

ich wurde nicht gefragt

bei meiner zeugung

und die mich zeugten

wurden auch nicht gefragt

bei ihrer zeugung

niemand wurde gefragt

außer dem Einen

und er sagte

ja

ich wurde nicht gefragt

bei meiner geburt

und die mich gebar

wurde auch nicht gefragt

bei ihrer geburt

niemand wurde gefragt

außer dem Einen

und der sagte

ja

Ungefragt ins Leben

Selbstbestimmung und selbstbestimmte Teilhabe sind Schlüsselbegriffe unseres gesellschaftlichen Miteinanders und Grundrechte eines jeden Menschen. In der freiheitlichen Gesellschaft soll jeder für sich entscheiden können, was ihm zuträglich ist und was abträglich. Wo und wie er sich einbringen möchte, und woran er nicht teilnehmen möchte. Die Entscheidungsspielräume haben sich enorm erweitert. Aus dem Zuwachs an Freiheit und an Wahlmöglichkeiten ist mittlerweile der Zwang zur Wahl geworden. Die Freude am Wählen-Können ist der Multioptionsgesellschaft buchstäblichen Qual der Wahl gewichen. Nicht wenige Menschen fühlen sich im Übrigen damit überfordert, dauernd entscheiden zu müssen, was sie wollen, wie sie es wollen und zu welchen Bedingungen sie es genau wollen.

Angesichts dieser schier unendlichen Wahlmöglichkeiten geht leicht vergessen, dass die grundlegendste Wahl niemand getroffen hat. Keiner hat sich ausgesucht, ob er hier auf dieser Erde sein möchte oder nicht. In dem entscheidenden Punkt erfährt sich jeder als fremdbestimmt. Wir haben uns weder den Zeitpunkt unserer Geburt ausgesucht, noch den Ort, an dem wir geboren wurden, noch die Familie, in die hinein wir geboren wurden, noch die Gesellschaft, in der wir aufwuchsen, noch die Umwelt, die unser Handeln bestimmt. Nein, wir wurden definitiv nicht gefragt. „Niemand wurde gefragt“ wie Kurt Marti es formuliert im Gedicht.

Wenn wir gefragt worden wären, wie hätten wir geantwortet?

Wenn man uns zuvor gefragt hätte, jetzt mal rein theoretisch, wie hätten wir uns entschieden?

Diese Frage können die meisten von uns erst im Nachhinein beantworten. Hat jemand eher schlechte Erfahrungen im Leben gemacht, würde die Antwort vermutlich so ausfallen: Also, wenn ich gewusst hätte, was da alles auf mich zukommt, dann hätte ich dankend abgelehnt.

Umgekehrt würden Menschen mit guten Erfahrungen und entsprechender Lebensfreude wohl antworten: Klar, ich würde mich auf jeden Fall immer wieder für ein Leben auf dieser Erde entscheiden.

Allerdings wissen wir nicht, was das Leben für uns noch an Überraschungen bereithält. Die aktuelle Diskussion über den assistierten Suizid macht deutlich, dass Situationen über Menschen hereinbrechen können, denen sie sich nicht gewachsen fühlen. Es sind dann Lebenslagen, in denen plötzlich der Wunsch wach wird, „die Eintrittskarte zum Leben“ wieder „zurückzugeben“ wie es Dostojewski in den „Brüdern Karamasow“ formuliert oder sich das Leben zu nehmen, weil es unerträglich zu werden droht.

Allerdings bleibt die Erörterung der Frage, wie wir uns entschieden hätten, auch eine rein theoretische. Denn wir sind nun einmal hier und müssen uns den Herausforderungen des Lebens stellen, ob wir wollen oder nicht.

Immerhin wurde die Öffentlichkeit im Sommer aufgeschreckt durch die Meldung, junge Paare würden sich angesichts der Klimakrise bewusst gegen Kinder entscheiden. Sie hielten es für unverantwortlich im Blick auf die Klimaerwärmung. Sie hielten es aber auch für unzumutbar den Kindern gegenüber, die in eine sich anbahnende Katastrophe hinein geboren würden. Diskussionen holen uns hier ein, die in ähnlicher Weise schon in den Siebziger Jahren geführt wurden, und die wahrscheinlich so alt sind, wie die Menschheit selbst. Lohnt es sich noch Kinder in diese Welt zu setzen?

Gründe gegen ein Leben in dieser Welt gibt es wahrlich genug

Für Schwarzseher gibt es genug Gründe, nicht auf diese Welt zu kommen. Wir kennen sie und hören von ihnen tagtäglich. Dazu gehört

  • die Klimakrise,
  • die Coronakrise und das Phänomen der Pandemie,
  • eine total zerrissene Gesellschaft, die kämpft mit Verschwörungstheorien und einer schleichenden Vergiftung des öffentlichen Klimas,
  • Millionen Menschen, die weltweit auf der Flucht und entwurzelt sind,
  • die Wasserknappheit und der Kampf um die Rohstoffe.

Die Reihe ließe sich ins unendliche fortsetzen. Ja, diese Welt liegt im Argen. Es besteht in absehbarer Zeit nicht die Aussicht auf eine schnelle und grundlegende Besserung. Im Gegenteil: Wir haben in den vergangenen Jahren überhaupt erst das Ausmaß der Katastrophen und Probleme mühsam sehen gelernt. Noch immer sind wir dabei, das weltweite Bewusstsein für die Herausforderungen der einen Menschheit zu wecken und zu schärfen.

…und der sagte JA

„…Niemand wurde gefragt außer dem einen, und der sagte JA“. Während wir ungefragt in diese Welt kamen, feiern wir an Weihnachten, dass zumindest einer gefragt wurde. Der „Schöpfer aller Ding“ und der Sohn des ewigen Vaters wird gefragt, ob er in diese Welt kommen möchte angesichts der Verwerfungen – oder wie es theologisch richtig heißen müsste angesichts der Folgen des Sündenfalls, der alles durcheinander gewirbelt hat und eine fundamentale Unordnung gestiftet hat, die Menschenmaß übersteigt und die wir Menschen aus eigener Anstrengung einfach nicht in den Griff bekommen werden.

Und er hat trotzdem JA gesagt. In Christus spricht Gott das große Ja zu dieser gebrochenen Welt. In Christus wagt Gott sich selbst als Mensch in diese Welt und setzt sich dem Leiden der Menschen aus. Er, der wusste wie es ist, weil er es sah, scheute sich dennoch nicht zu kommen. Er wollte es am eigenen Leib erfahren, wie der Heilige Bernhard einmal so eindrücklich sagt. Denn wissen allein hilft nicht. Man muss es erlebt haben, wie so vieles im Leben. Und Gott will es wissen. Er gibt die Sicherheiten auf. Zieht sich nicht in seine himmlische Glorie zurück. Sondern er wagt den Schritt in diese Welt.

Ein bedingungsloses Ja

Sein Ja ist ein bedingungsloses Ja.

  • Kein Ja ich komme, aber erst müsst ihr hier klar Schiff machen. „Machet dem Herrn die Wege bereit“ und ich setze mich dann ins gemachte Nest. Nein, so nicht.
  • Aber auch kein Ja-Aber. Also ich komme schon, aber nur wenn mir das und das erspart bleibt und ich mich um die und die nicht kümmern muss. Nein, so auch nicht.
  • Auch kein entschiedenes Jein, ein Ja, das bei jeder sich auftuenden Schwierigkeit wieder zur Disposition gestellt wird und der Abbruch des Unternehmens Menschwerdung immer als Option mitgedacht wird. Nein, so auch nicht.

Es ist ein Ja mit allen Konsequenzen. Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein (Mt 5,37). So wird Jesus später selbst in der Bergpredigt lehren. Und Paulus drückt es unübertroffen aus im Zweiten Korintherbrief, wenn er schreibt: „Denn Gottes Sohn Jesus Christus (…) ist nicht als Ja und Nein zugleich gekommen; in ihm ist das Ja verwirklicht. Denn er ist das Ja zu allem, was Gott verheißen hat (2Kor 1,19-20). Was ein wunderbarer Satz! Das Ja des Schöpfers im Anfang, das diese Welt überhaupt erst ermöglicht hat, wird am Ende der Zeit noch einmal bekräftigt. Christus ist das Ja zu dieser Welt.

Mit dem JA Christi sich den Herausforderungen des Lebens stellen

Dieses Ja Gottes in Jesus Christus wird uns an Weihnachten verkündet. An uns ist es heute Nacht, dieses JA zu wiederholen. Wie gesagt, wenn alles rund läuft, scheint das nicht schwierig zu sein. Aber wenn es nicht gut läuft, dann müssen wir um dieses Ja ringen.

  • Das Ja angesichts von Lebenskrisen, in denen für mich eine Welt zusammenbricht, weil ich weiß, dass Christus mit mir durch das Dunkel dieser finstersten Nacht geht.
  • Das Ja angesichts eines Lebens mit Behinderung, denn in der Annahme unserer Menschennatur sagt Gott in Christus zu jedem Menschen Ja.
  • Das Ja angesichts von Schuld - wie bei meinem Besuch gestern im Gefängnis - im Wissen, dass seit Weihnachten keine Schuld hinreicht, Gottes Erbarmen auszulöschen
  • Das Ja in den Kriegsgebieten dieser Welt, weil in Christus der Friede angeboten wird den Menschen seines Wohlgefallens, die sein Ja mitleben.
  • Das Ja auch in den Konflikten und Auseinandersetzungen mit anderen Menschen, denn in der Feindesliebe zeigt sich der Ernstfall des göttlichen Ja.
  • Das Ja angesichts von Leid und Tod, weil Christus unsere Leiden getragen hat, um uns allen gerade hier nahe zu sein.
  • Das Ja in den Höllen, die Menschen sich bereiten, weil Christus in die Hölle hinabgestiegen ist, um uns Menschen aus den Teufelskreisen dieser Welt herauszureißen.

Das Ja an Weihnachten und die Umkehr der Herzen

Bei unserer Tauferneuerung werden wir gefragt: Widersagt ihr dem Bösen und all seinen Versuchungen? Sagt ihr mit Entschiedenheit Nein zum Bösen? Und umgekehrt: Erneuert ihr euer Ja zum dreifaltigen Gott, der uns an Weihnachten herausreißt aus all unserer Weinerlichkeit, unserem Selbstmitleid, unserer Verzagtheit und unserer Resignation? In der Tat, dieses Ja-Wort gibt man nicht nur einmal. Man muss es immer wieder neu sprechen und immer wieder neu bekräftigen.

Das wünsche ich Ihnen von Herzen an diesem Weihnachtsfest. Angesichts einer zerrissenen Welt, angesichts vieler ungelöster Konflikte, angesichts von Leid und Tod nicht zu verzagen, sondern das göttliche Ja an Weihnachten zu dieser Welt mitzusprechen. Nur so werden wir den weihnachtlichen Frieden erlangen, im eigenen Herzen, aber hoffentlich auch in dieser Welt, die auf dieses JA so sehnsüchtig wartet. Amen.