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Dokumentation

Gott erbarmt sich der menschlichen Schwachheit

Predigt von Bischof Dr. Franz Jung am ersten Weihnachtsfeiertag, 25. Dezember 2019, im Würzburger Kiliansdom

Kipppunkte im Klimasystem

Zu den Wörtern, die in den vergangenen Monaten am meisten Schrecken verbreitet haben, gehört sicher das Wort „Kipppunkt“ oder auf Englisch „tipping point“. Die Klima-Forscher bezeichnen mit den Kipppunkten kritische Schwellen im Klimasystem. Werden diese überschritten, so kommt es sehr wahrscheinlich zu unumkehrbaren Veränderungen im Klima der Welt. Das System droht insgesamt zu kippen und läuft Gefahr, die Lebensgrundlage vieler Menschen zu vernichten.

Auch wenn die Zusammenhänge von ungeheurer Komplexität sind, haben die skizzierten Szenarien für das Überschreiten der Kipppunkte zu Schreckensbildern geführt. Was beispielsweise wird passieren, wenn die arktischen Eisflächen abschmelzen? Was, wenn die unkontrollierte Rodung der Amazonas-Regenwälder als der grünen Lunge der Erde nicht gestoppt wird? Was, wenn die Ozeane nicht mehr Kohlendioxid aufnehmen können und die aufgenommenen Mengen die Übersäuerung des Meerwassers nach sich ziehen?

Diese Szenarien haben bei vielen Menschen nicht zu Unrecht große Besorgnis erregt. Und die Frage, die viele umtreibt, lautet: Wann sind diese Kipppunkte wirklich erreicht? Und welche Folgen sind dann zu gewärtigen?

Weihnachten erzählt auch von einem Kipppunkt

Warum erzähle ich das alles am heutigen Weihnachtsfest? Weil auch Weihnachten von einem Kipppunkt unvorstellbaren Ausmaßes erzählt. An Weihnachten passiert nämlich das Ungeheure: Der unendliche und unfassbare Gott, der Gott vor aller Zeit, nimmt Menschengestalt an und kommt auf diese Erde. Hatte die Sünde den Menschen seinem Schöpfer und der Schöpfung entfremdet, war die Sünde wie ein gigantischer Riss durch die Welt gegangen, so ergreift Gott an Weihnachten die Initiative, um zu erneuern, was zerrissen ist. In der Menschwerdung seines Sohnes sagt er Ja zu dieser dem Tod verfallenen Welt. Die Menschwerdung Jesu Christi markiert die große Wende. Die Welt rast nicht mehr auf den Abgrund zu, sondern findet zu ihrem Ursprung zurück. Christus ist Alpha und Omega zugleich: Ursprung und Ziel. In ihm findet die verlorene Welt heim zu ihrem Schöpfer. Wie bei den Kipppunkten der Klimaforscher handelt es sich um eine unumkehrbare Bewegung, die nicht mehr aufzuhalten ist. Das ist die überwältigend frohe Botschaft des Weihnachtsfestes. Über die Konsequenzen dieses bedeutendsten Kipppunktes der Erdgeschichte gilt es heute nachzudenken.

Gott rettet uns – auch vor aller Überforderung

Ein erstes: Weihnachten erzählt von dem, was Gott an uns tut. Er rettet den verlorenen Menschen und mit ihm die verlorene Welt. Der Mensch kann diese Welt nicht retten. Weil Gott uns an Weihnachten rettet, haben wir eine Hoffnung, die nicht von dieser Welt ist. Diese gute Nachricht bewahrt uns vor aller Überforderung, die wir spüren angesichts der riesigen Herausforderungen, die mit dem Thema Klimaschutz verbunden sind.

Gott schafft neu und repariert nicht

Ein zweites: An Weihnachten wird die Welt neu geschaffen, nicht einfach repariert. Unsere Klimanotfallpläne versuchen das Schlimmste zu verhindern und negative Entwicklungen einzudämmen. Gott jedoch verlegt sich nicht auf die Schadensbegrenzung des Alten. Er schafft den Menschen in wunderbarer Weise neu. Und genau darum geht es an Weihnachten: im Glauben neu geschaffen zu werden und damit ein neues Denken von Gott her zu lernen. Denn eines ist klar: Die bisherigen Denkformen in Ökonomie und Ökologie werden uns nicht weiterhelfen, wenn wir unser Denken nicht radikal erneuern. Nicht umsonst betet die Kirche heute:

„Allmächtiger Gott, du hast den Menschen in seiner Würde wunderbar erschaffen und noch wunderbarer wieder hergestellt. Lass uns teilhaben an der Gottheit deines Sohnes, der unsere Menschennatur angenommen hat.“

Im Glauben neu geschaffen zu werden ist ein Geschenk der Gnade. Das kann man sich nicht erarbeiten. Gott muss man sich anvertrauen, ihm glauben, so wie Maria an Weihnachten ihm Glauben geschenkt hat. Es sind die, die eben nicht auf das menschlich Machbare vertrauen, die – wie es im Johannesevangelium hieß – eben nicht aus dem Willen des Fleisches geboren sind, sondern aus Gott neu geboren sind. Und die von einem unerschütterlichen Glauben an Gottes neue Welt getragen werden.

Nicht Apokalypse, sondern Hoffnung

Ein drittes: Weihnachten stellt uns ein positives Hoffnungsbild vor Augen. Gottes Herrlichkeit leuchtet auf inmitten menschlicher und irdischer Schwachheit. Dem stehen die geradezu apokalyptisch anmutenden Schreckensszenarien gegenüber, die mit dem Klimawandel einhergehen können. Nun will die literarische Gattung der Apokalypse den Hörer aufrütteln. Und hier leisten diese Bilder durchaus gute Dienste, denn sie bringen den Menschen zum Nachdenken und führen ihm den Ernst der Situation vor Augen.

Aber auf der anderen Seite können diese Schreckensbilder auch als Übertreibung abgetan werden, auf Dauer abstumpfen oder lächerlich gemacht werden. Schlimmer noch, es könnte sich ein Fatalismus breitmachen, demzufolge es sich angesichts der Herausforderungen gar nicht erst lohnt, etwas zu unternehmen, weil es aussichtslos erscheint.

Nur positive Bilder motivieren. Die gemeinsame Hoffnung auf ein besseres Leben setzt Energien frei, während Schreckensvisionen oft nur lähmen. Selten haben Drohungen und moralische Appelle etwas bewirkt. Wirkung zeitigt erst, wenn Menschen etwas als richtig erkannt haben und im Innersten überzeugt sind. Nur wer einen neuen Himmel und eine neue Erde von Gott her erwartet (2Petr 3,13), der setzt jetzt schon seine Kraft ein, um Gottes neuer Welt zum Durchbruch zu verhelfen.

Begegnung auf Augenhöhe

Ein viertes: An Weihnachten begegnet uns Gott in seinem Sohn auf Augenhöhe. Er wird Mensch unter uns Menschen, um uns so zu Gott zu führen. Begegnung auf Augenhöhe ist sicher einer der entscheidenden Schlüssel für ein gutes weltweites Miteinander. Denn die Menschen in den ärmeren Ländern der Erde erfahren sich nicht als echte Partner. Sie fühlen sich vielmehr in der Klimadebatte bevormundet. Sie hegen den Verdacht, nach der Ausbeutung durch fremde Mächte, jetzt erneut zu etwas gezwungen zu werden, was ihren mühsam errungenen Fortschritt ausbremst und sie einmal mehr in Abhängigkeiten von den führenden Wirtschaftsnationen bringt. Fortschritte macht man nur, wenn man miteinander die anstehenden Probleme anpackt. Wir sind alle aufeinander angewiesen. Eine Demutsübung. So wie Gott sich an Weihnachten in Demut übt. Vertrauen muss man sich erarbeiten und kann man nicht einfach voraussetzen. So wie Jesus später von Dorf zu Dorf und von Stadt zu Stadt zieht, um Menschen zu gewinnen, so muss auch das weltweite Netz der Solidarität mühsam und Stück für Stück aufgebaut werden.

Gewaltlos und friedfertig

Ein fünftes: Vielen geht das zu langsam. Da liegt die Versuchung zur Gewaltanwendung nahe. Die einen träumen von der Zwangsenteignung der als lebenswichtig angesehenen Güter wie beispielsweise der Verfügung über den Regenwald. Andere beanspruchen für sich das Recht, rigoros Gewalt gegen Klimasünder anwenden zu dürfen. Diese Vorstellungen entspringen den Allmachtsphantasien von Menschen, die sich gottgleiche Macht anmaßen.

Weihnachten aber erzählt davon, wie Gott gerade sich gerade der menschlichen Schwachheit erbarmt. Gott wird Mensch, um uns Menschen von der Überheblichkeit, selbst Gott spielen zu wollen, zu erlösen. Wir sollen lernen, uns einander in unserer Schwäche anzunehmen und barmherzig miteinander umzugehen. Nur das wird Verständnis füreinander wecken.

Dem irdischen Klimawandel geht der göttliche Klimawandel voraus

Wie man sieht, muss der Klimawandel in der Natur umfangen werden von dem Klimawandel im Glauben. Nur wer auf Gott vertraut, bringt den langen Atem mit. Wer seine Hoffnung in Christus verankert, lässt sich nicht entmutigen. Wer auf den friedfertigen Christus schaut, wird sich nicht dazu versteigen, totalitär über andere verfügen zu wollen. Wer sich dem demütigen Christus anschließt, wird über den anderen nicht herrschen wollen, sondern ihn als Partner zu gewinnen trachten. Bevor dieser Klimawandel in der Humanökologie nicht stattgefunden hat, werden die Chancen sinken, in gemeinsamer und weltweit solidarischer Form dem Klimawandel entgegenzuwirken.

Figuren der Krippe als Hoffnungsbilder

Was es angesichts der Klimakrise benötigt, findet sich gut versinnbildet in den Figuren unserer Krippen:

•           Es braucht Menschen wie Maria, die fest daran glauben, dass Gott nichts unmöglich ist, und die sich dann mit Leib und Seele diesem Gott zur Verfügung stellen.

•           Es braucht den störrischen Esel, der unbeirrt und beharrlich den Weg des Guten geht.

•           Es braucht aber ebenso den geduldigen Ochsen, der sich durch Rückschläge und allerlei Hürden nicht entmutigen lässt.

•           Und es braucht das Lamm an der Krippe, Sinnbild für Christus, der gekommen ist, die Sünde der Welt auf sich zu nehmen und uns zu einem Neuanfang zu befähigen.

•           Der Weihnachtsstern der Hoffnung schließlich leuchtet allen Menschen und bringt die Gottsucher zu ihrem Ziel: zu Christus, dem Alpha und Omega, dem Ursprung und Ziel der ganzen Schöpfung. Er ist der wahre Kipppunkt hinein in das neue Leben bei Gott. Ihm sei heute Dank, Lobpreis und Ehre dargebracht. Amen.