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Dokumentation

„Der Friede, nach dem sich die Welt so sehr sehnt“

Predigt von Bischof Dr. Franz Jung bei der Pontifikalmesse am ersten Weihnachtstag, 25. Dezember 2022, im Würzburger Kiliansdom

Weihnachten heißt, die Würde wiederherzustellen

Allmächtiger Gott,
du hast den Menschen in seiner Würde wunderbar erschaffen
und noch wunderbarer wiederhergestellt.
Lass uns teilhaben an der Gottheit deines Sohnes,
der unsere Menschennatur angenommen hat.

Dieses Gebet steht heute über dem weihnachtlichen Gottesdienst. Programmatisch wird in diesem Gebet zusammengefasst, worum es an Weihnachten geht. Weihnachten ist das Fest der Wiederherstellung der Würde des Menschen. Wenn aber von der Wiederherstellung der Würde an Weihnachten gesprochen wird, bedeutet das auch, dass die Würde des Menschen offenbar verletzt wurde.

Der Ursünde, wie Gott sein zu wollen

Davon erzählt schon die Urgeschichte von Adam und Eva. Die ersten Menschen bleiben hinter ihrer Würde als Gottes Ebenbild zurück. Sie wollen selbst wie Gott sein. Das wird zur Ursünde schlechthin: Selbst Gott spielen zu wollen. Sich über andere zu erheben. Für sich in Anspruch zu nehmen, unterscheiden zu können, wer würdig ist und wer unwürdig ist. So stellt sich die Geschichte der Menschheit als eine Geschichte dar, in der die Würde immer wieder mit Füßen getreten wurde und bis heute getreten wird.

Die Verletzungen der Würde im großen Stil

Bei der Verletzung der Würde des Menschen denken wir an die großen Brennpunkte unserer Welt wie den Umgang mit den Geflüchteten, die Behandlung von Kriegsgefangenen, die Opfer von Terror und Folter in den Gefängnissen. All diesen Menschengruppen ist gemeinsam, dass sie erfahren müssen, wie ihnen oftmals systematisch ihre Würde genommen wird. Aber es braucht heute nicht nur den Verweis auf die großen Menschenwürde- und Menschenrechtsverletzungen. Die Verletzung der menschlichen Würde ereignet sich auch in den alltäglichen Dramen, die wir oftmals gar nicht wahrnehmen.

Die vielen kleinen Verletzungen der Würde

    • Ich denke an die Menschen, denen immer wieder gesagt wurde, dass sie nichts können und zu nichts taugen. Wer so etwas dauernd gesagt bekommt, der wird im Laufe der Zeit sich dieses Urteil zu eigen machen und sich nichts mehr zutrauen im Leben.

    • Ich denke an die Menschen, deren Beziehung gescheitert ist. Oftmals ist die Trennung der letzte Ausweg, um die eigene Selbstachtung zu wahren. Und nicht selten geht sie einher mit der tiefen Verunsicherung, ob man überhaupt noch liebenswert ist.

    • Ich denke auch an Menschen, die Missbrauch in welcher Form auch immer durchlitten haben, sei es Missbrauch durch Macht und Mobbing, durch Verletzung ihrer Privatsphäre und ihrer Persönlichkeitsrechte, sei es Missbrauch durch sexuelle Gewalt. Ihr Selbstwertgefühl wird dadurch systematisch zerstört.

    • Ich denke an Menschen, deren Ruf durch Kampagnen in der Öffentlichkeit zerstört wurde. Sie können sich in der Öffentlichkeit nicht mehr blicken lassen und verstecken sich nur noch. Denn sie erleben, dass man sie nicht mehr als Menschen wahrnimmt, sondern sie nur noch auf eine Rolle festlegt, die sie zu Unmenschen herabwürdigt und zum Abschuss freigibt.

    • Ich denke an die Insassen unserer Haftanstalten und Gefängnisse. Durch ihre Straftaten scheint ihnen das Kainsmal des Übeltäters ein für allemal auf die Stirn gebrannt zu sein. Für sich selbst vermögen sie keine Perspektive im Leben mehr zu entdecken, weil sie sich selbst nur schwer vergeben können.

Die Aufzählung ließe sich leicht fortsetzen. Jeder kennt Situationen, in denen er spürte, wie das, was ihm jetzt widerfährt, auf die Beschädigung der eigenen Würde zielt und ihn oder sie als Mensch im Innersten treffen will.

Wie reagieren Menschen, die in ihrer Würde verletzt wurden?

    • Manche Menschen machen sich das negative Urteil anderer über sie zu eigen. Das sind diejenigen, die sich nichts mehr zutrauen. Bei jeder Schwierigkeit gehen sie gleich in die Selbstabwertung. Sie halten sich selbst für schlecht und machen sich auch schlecht.

    • Andere suchen verzweifelt nach Anerkennung und werden dadurch erpressbar. Sie lassen sich schamlos ausnutzen, nur um das Ansehen Dritter zu gewinnen.

    • Wieder andere beginnen sich selbst zu verletzen und sich selbst zu zerstören. Weil sie meinen, wertlos zu sein, werfen sie ihr Leben weg.

    • Eine weitere Spielart, mit der Entwürdigung umzugehen, ist sich anzupassen. Dann lautet die Devise, bloß nicht auffallen, um möglichst nicht aus der Deckung gehen zu müssen.

Wie soll das gehen, die Würde wiederherstellen

Angesichts solch tiefer Verletzungen von Menschen fragt man sich, wie das gehen soll, dass die Würde wiederhergestellt wird? Aus Erfahrung wissen wir, dass es Jahre, Jahrzehnte, mitunter ein ganzes Leben braucht, um über die Verletzung der Würde hinwegzukommen, um eine solch schwere Verletzung der eigenen Persönlichkeit zu überleben, ohne daran vollends zu zerbrechen. Das kann man nicht allein, dazu braucht es externe Hilfe. Eine Hilfe oder die Hilfe ist dabei unser Glaube.

Gott nimmt unsere Menschennatur an und trägt unsere Verletzungen

Denn an Weihnachten glauben wir, dass der Sohn Gottes Menschennatur angenommen hat. Es war nicht unter seiner Würde in diese Welt einzutreten. Bewusst hat er sich dazu entschieden, mit uns Mensch zu werden und sich den Gefahren dieser Welt auszusetzen. Jesus kommt als verletzlicher Mensch in diese Welt. Er lernt schon früh in seinem Leben, was es heißt, in seiner Würde verletzt zu werden. In Verfolgung, auf der Flucht, in übler Nachrede, durch zielgerichtete Entwürdigung im Verlauf seines gewaltsamen Leidens und Sterbens. Gott lernt am eigenen Leib, was es heißt, entwürdigt zu werden. Aber er entzieht sich dem nicht, sondern erträgt es und nimmt es an.

Sich selbst annehmen und sein Schicksal

Und das ist das erste, was er uns lehrt. Dass wir das, was uns widerfahren ist, was uns im Innersten verletzt hat, annehmen lernen als etwas, das zu unserem Leben gehört. Wir können es nicht ungeschehen machen, so sehr wir auch wollen. Wir können es nicht verdrängen, so sehr wir uns auch bemühen. Es gehört jetzt zu uns. Mit Christus und im Blick auf ihn dürfen wir es annehmen. Nur so kann der erste Schritt zur Wiederherstellung der Würde gegangen werden. Vielleicht ist das der schwerste Schritt überhaupt. Aber ein Schritt, in dem wir aus der Passivität heraustreten, um unser Leben zu gestalten.

Würde durch verlässliche Beziehung

Würde hat immer etwas zu tun mit einer verlässlichen und tragfähigen Beziehung. Weil ein anderer mich annimmt, kann auch ich mich annehmen, kann ich zu mir stehen und meinem Leben. An Weihnachten wird Christus dieser Andere, der sein unbedingtes Ja zu uns sagt. Er schenkt uns eine Würde, die uns niemand nehmen kann. Im Blick auf ihn gewinnen wir unseren Selbststand zurück.

Sich gehalten wissen und nichts tun, was unter der eigenen Würde ist

Wer sich so gehalten weiß, der muss sich nicht mehr selbst abwerten. Der muss sich nicht anbiedern und um Anerkennung betteln. Er muss auch sein Leben nicht wegwerfen. Und er braucht sich nicht länger wegzuducken, um sich zu verstecken. Nein, wer sich von Christus angenommen weiß, der lernt den aufrechten Gang. Wie hieß es eben so eindrucksvoll im Johannesevangelium: allen aber die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden. Glaube an die Menschwerdung Gottes bedeutet Ermächtigung. Denn die Kinder Gottes kann niemand mehr dem himmlischen Vater entreißen, seit an Weihnachten Christus unser Bruder wurde. Mit ihm lernen wir langsam, unser Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen. Weil er zu uns steht, können auch wie zu uns stehen. Und weil er uns hält, gewinnen wir neuen Halt im Leben.

Die Verletzung der Würde anderer nicht länger hinnehmen

Die Verletzung der eigenen Würde ruft uns die eigene Verletzlichkeit wieder in Erinnerung. Wir lernen, wo wir unsere schwachen Punkte haben. Im Rückblick zeigt sich uns auch, wann der Punkt im Leben kam, dass wir dabei waren, uns selbst aufzugeben. Wir brauchen nicht den starken Mann zu spielen und so zu tun, als könne uns nie mehr etwas anhaben.

Im Gegenteil. Wer das Gefühl für die eigene Würde zurückgewonnen hat, der wird viel sensibler dafür, wo anderen Menschen die Würde genommen wird. Er erkennt sehr schnell die Konstellationen, die Techniken und die Menschen, die andere in unerträgliche Situationen bringen. Mutig wird er dagegen protestieren und aufstehen.

Zugleich wird er vorsichtiger mit Menschen umgehen aus der Erfahrung der Brüchigkeit unseres Lebens. Das hilflose Kind in der Krippe erinnert uns an die menschliche Zuwendung, die überlebensnotwendig ist. Jeder verdient diesen sorgsamen Umgang mit der eigenen Schwäche und der eigenen Verletzlichkeit, die uns in dem Neugeborenen an Weihnachten entgegenkommen.

Dank an alle, die die Würde anderer Menschen schützen

So steht an Weihnachten der besondere Dank an alle, die die Würde von Menschen achten, ja die mithelfen, dass die Würde von Menschen wiederhergestellt wird, die sich verloren vorkommen.

    • Dazu zählen die Ärzte und Pflegekräfte, die auch unter erschwerten Bedingungen kranken und alten Menschen das Gefühl ihrer Würde geben und sie nicht einfach zu Nummern machen im Gesundheitsbetrieb.

    • Dazu zählen alle, die sich um die Achtung der Menschenwürde mühen vor allem der rechtlosen Menschen wie der Migranten und Flüchtlinge

    • Dazu zählen alle, die in den Haftanstalten Menschen ihre Würde nicht nehmen, sondern sie dazu anhalten sich nicht selbst aufzugeben.

    • Dazu zählen alle, die mit obdachlosen Menschen arbeiten und die durch ihren Zuspruch und ihre Hilfe zeigen, dass der andere es wert ist und nicht als lästiger Bittsteller abgewiesen wird.

    • Dazu zählen auch die, die sich um Menschen mit Behinderung sorgen und durch ihre Fürsorge ihnen das Gefühl ihrer Würde schenken.

Allmächtiger Gott,
du hast den Menschen in seiner Würde wunderbar erschaffen
und noch wunderbarer wiederhergestellt.
Lass uns teilhaben an der Gottheit deines Sohnes,
der unsere Menschennatur angenommen hat
.

Ja, Herr, lass uns teilhaben an der Gottheit deines Sohnes. Denn mit Christus dürfen wie dich als unseren Vater anrufen, der uns nicht aufgibt, sondern unsere Würde als Kinder Gottes an Weihnachten bekräftigt. Durch diesen Zuspruch unserer Würde möge uns der weihnachtliche Frieden zuteilwerden, nach dem wir uns und mit uns sich die ganze Welt so sehr sehnt. Amen.